Ich erinnere mich (1/15)
Ich erinnere mich an die Piniennadeln in Istrien, so weich, als ginge man auf Teppichen.
Ich erinnere mich an Raureifblüten an Fenstern.
Ich erinnere mich an Bessy und Andy.
Ich erinnere mich an Plattenspieler. Maschinen, um das Hier und Jetzt hinter sich zu lassen.
Ich erinnere mich an Schallplatten, die ich so oft gespielt habe, bis sie hängen blieben.
Ich erinnere mich, auf meine Schallplatten nie gut genug achtgegeben zu haben.
Ich erinnere mich, dass ich manche Schallplatten ein zweites Mal kaufen musste.
Ich erinnere mich an Lieber Onkel Bill.
Ich erinnere mich an die Erdnussbuttersandwiches mit Marmelade in Lieber Onkel Bill.
Ich erinnere mich an meine Sehnsucht nach Erdnussbuttersandwiches.
Ich erinnere mich an das Glück, als ich endlich zum ersten Mal Erdnussbutter aß.
Ich erinnere mich an das befriedigende Gefühl, mit einem langstieligen Löffel die Erdbeermarmelade in der Sauermilch von Frufru zu verrühren.
Ich erinnere mich, dass ich der Köchin beim Hagenwirt zusah, wie sie eine Scheibe Brot vom Laib schnitt, mit Grammelschmalz bestrich, mit Zwiebeln belegte, salzte und eine Prise Paprika über alles streute.
Ich erinnere mich an Grammelknödel.
Ich erinnere mich an den Geruch von frisch gemähtem Rasen in der Merkursiedlung.
Ich erinnere mich an Bernd Begemanns Solange die Rasenmäher singen.
Ich erinnere mich an das Knattern des schwachmotorigen Mopeds, auf dem sich der Briefträger unserem Haus auf halber Höhe des Pöstlingbergs näherte, jetzt ist er gleich da, jetzt ist er fast schon da, jetzt ist er da.
Ich erinnere mich an die unterirdische Bahn in der Tropfsteinhöhle von Postojna.
Ich erinnere mich an das Natural History Museum.
Natural History Museum.
Ich erinnere mich an das blaue Leuchten des Meeres.
Ich erinnere mich, mit zehn oder elf im Meer mit Taucherbrille und Schnorchel einer nackten Frau hinterher geschwommen zu sein. Und nichts gesehen zu haben.
Ich erinnere mich an den Gesang der Zikaden.
Ich erinnere mich an die Benzingutscheine meines Vaters.
Ich erinnere mich an dicken, süßen, leuchtend orangen, völlig undurchsichtigen Pfirsichnektar. Opakes sämiges Glück.
Ich erinnere mich, dass ich mir bei He Loved Him Madly wünschte, die Welt könnte sein wie dieses Stück von Miles Davis.
Ich erinnere mich an die Erzählung, mein Vater habe Porgy and Bess "mit in die Ehe gebracht".
Ich erinnere mich an die Frau, die in einer Kneipe auf der Marktstraße My Favourite Things in der 57 Minuten langen Version von John Coltrane Live in Japan auflegte. Corinna, die ich an diesem Abend zum ersten Mal getroffen hatte, und ich standen bloß da und hörten zu, bis es vorüber war.
Ich erinnere mich, dass ich mir in Mittagspausen die Zeit vertrieb, indem ich mir in Schallplattenläden etwas auflegen ließ.
Ich erinnere mich an den Turnlehrer, der uns in STIRNREIHE antreten ließ, mich im Parkbad vom Zehner scheuchte und die Aula las.
Ich erinnere mich an das Gefühl des Zurechtgestutztseins, nachdem ein noch Größerer in unsere Klasse gekommen und ich nicht mehr der erste in der Stirnreihe war.
Ich erinnere mich an das Schaben der Rasierklinge, wenn mein Vater auf dem Transparentpapier, auf dem er die Pläne von Bahnbaumaschinen zeichnete, etwas wieder löschte.
Ich erinnere mich an das Plakat im Konstruktionsbüro, das darüber informierte, wie viele Arbeiter von einer einzigen Bahnbaumaschine überflüssig gemacht wurden.
Ich erinnere mich an meinen Wunsch, im Alter wie Heimrad Bäcker auszusehen.
Ich erinnere mich an ein Treffen des Kommunistischen Bundes, bei dem darüber gesprochen wurde, was nach der Revolution mit den Bankiers geschehen solle.
Ich erinnere mich, dass damals noch niemand „Banker“ sagte.
Ich erinnere mich an die Unruhe der Erwachsenen nach der Ermordung von Robert Kennedy.
Ich erinnere mich an Polaroidfotos.
Polaroid.
Ich erinnere mich an die beiden glatzköpfigen Frauen von der Mühl-Kommune, die plötzlich in der Linzer Altstadt neben mir herliefen und mir irgendetwas über ihre Futs erzählten.
Ich erinnere mich an die Wörter "aufreißen", "stehenlassen", "ausgreifen" und "Fut". Und daran, dass "Fut" wie "Fud" ausgesprochen wurde.
Ich erinnere mich an meine Belustigung, wenn Deutsche Rapid Wien wie Rappid Wien und Pala-tschinken wie Palat-Schinken aussprachen.
Ich erinnere mich, dass ich dachte, malerisch spräche man so ähnlich wie "Galeere" aus, und dass der Mastkorb so heißt, weil in ihm Schiffjungen gemästet werden.
Ich erinnere mich an Danica, die auf dem Linzer Hauptplatz an mir gezupft und, als ich mich umdrehte, gesagt hatte, sie würde sich gerne mit mir verabreden. Und dass wir uns noch am selben Nachmittag am Pleschinger See trafen.
Ich erinnere mich, wie Hubert im Badcafé von der Nacht erzählte, in der er davon aufwachte, dass sein Vater seine Schwester erschoss.
Ich erinnere mich an das Badcafé. Und an Julius. Der mir erst zwei Jahre zuvor verängstigt von seinem Schwulsein erzählt hatte, von dem sowieso jeder wusste. Und danach im Hochgeschwindkeitstempo zu einer Institution im Nachtleben geworden war.
Ich erinnere mich an Die Andere Avantgarde im Brucknerhaus.
Ich erinnere mich an die Schallplatte mit Inuit-Gesängen, die ich bei Katzenmusik gekauft habe.
Ich erinnere mich an das Begräbnis meiner Mutter.
Die Urne meiner Mutter.
Ich erinnere mich an Netscape.
Ich erinnere mich an Diskokaiser's und daran, wie enttäuscht ich jedes Mal war, wenn an Freitagabenden niemand zwischen den Supermarktregalen tanzte.
Ich erinnere mich an die Käsetoasts im Cafe Conny.
Ich erinnere mich an Gabelbissen.
Ich erinnere mich an Pusztasalat.
Ich erinnere mich an die Flamingos in der Provence.
Ich erinnere mich an Heizölkanister, die ich von der Tankstelle nach Hause schleppen musste, um die Ölöfen in der Kreitnergasse zu heizen.
Ich erinnere mich an „E pericoloso sporgersi“.
Ich erinnere mich an mit Bambus eingerüstete Hochhäuser in Hongkong.
Ich erinnere mich an den Pichlinger See.
Ich erinnere mich an das Skifahren.
Ich erinnere mich an die Spice Girls.
Ich erinnere mich an AOL.
Ich erinnere mich an Lutte Ouvrière.
Ich erinnere mich, dass ich Als ich im Sterben lag las, als ich krank im Bett lag.
Ich erinnere mich an Peter Handkes Text über La Défense.
Ich erinnere mich an Reykjavik.
Ich erinnere mich an meine Angst.
Ich erinnere mich an das Speedy.
Ich erinnere mich an Tilt.
Ich erinnere mich an Marc Fischer.
Marc Fischer.
Ich erinnere mich an die DDR.
Ich erinnere mich an "poste restante".
Ich erinnere mich an die zum Oxford English Dictionary mitgelieferte Lupe.
Ich erinnere mich an das Gefühl, nackt in frisch gewaschener Bettwäsche zu liegen und zu warten, bis es warm wurde.
Ich erinnere mich, dass ich nur bis zum Bund der Badehose ins Wasser ging und danach eine Zeitlang wartete, bis ich losschwamm.
Ich erinnere mich an meine Bewunderung für alle, die sich ohne Zögern ins kalte Wasser warfen.
Ich erinnere mich an Kuhaugen, die wir im Unterricht zerschneiden mussten, und wie sehr ich das hasste.
Ich erinnere mich, dass ich es erst bei meinem vierten Kind schaffte, die Nabelschnur zu durchschneiden, weil ich eine schier unüberwindliche Angst davor hatte, sie zu verletzen.
Ich erinnere mich an meine Verwunderung darüber, wie fest die Nabelschnur war. Wie ein Tau.
Ich erinnere mich an die fast nicht zu ertragende Trauer, nachdem Renées Baby bei der Geburt von seiner eigenen Nabelschnur erdrosselt wurde.
Ich erinnere mich, wie Renée uns die Fuß- und Handabdrücke ihres toten Babies zeigte.
Ich erinnere mich, dass mir nicht einfiel, was man zu Hand- und Fußabdrücken eines toten Babies sagen konnte.
Ich erinnere mich, in Frau Klepp verschossen gewesen zu sein, selbst nachdem sie gesagt hatte: "Wir diskutieren jetzt. Es diskutiert die erste Reihe von links nach rechts."
Ich erinnere mich, dass der Englischlehrer in der Schulbibliothek von mir verlangte, ihm "in die Hand zu schwören", nie zur RAF zu gehen.
Ich erinnere mich, dass ich es ihm schwor. Aber nicht in die Hand.
Ich erinnere mich an Wassertanks.
Wassertank.
Ich erinnere mich an Words don't Come Easy.
Ich erinnere mich, dass mir Alena Stulik tschechische Lieder vorsang.
Ich erinnere mich daran, es bei keinem der Flüchtlinge, die ich kennengelernt habe, geschafft zu haben, sie nach ihren Fluchtgeschichten zu fragen, weil ich sie nicht daran erinnern wollte.
Ich erinnere mich daran, dass ich Trotzkisten immer toller als Maoisten fand.
Ich erinnere mich, dass ich bei meiner ersten Reise nach Paris mit 17 zwei Tage lang nicht aus dem Hotelzimmer kam, weil ich erst noch die Autobiografie Trotzkis zu Ende lesen musste.
Ich erinnere mich, dass ich mich von Trotzki, ein paar Jahrzehnte zuvor mit einem Eispickel getötet, verraten fühlte, nachdem ich vom Kronstädter Matrosenaufstand gelesen hatte.
Ich erinnere mich, dass Daniel von der Lutte Ouvrière mich durch das Schloss von Versailles führte und dabei gegen Deng Xiao Ping wetterte, um mich hinterher zu seiner Mutter einzuladen, die uns Pferdesteak servierte.
Ich erinnere mich, dass Gundula mich fragte, ob sie in Hamburg bleiben solle, und ich ihr antwortete, Krenz sei sicher bald Geschichte. Als ob ich Ahnung gehabt hätte.
Ich erinnere mich an blackandwhiteandblue.
Ich erinnere mich an Salman Rushdie.
Salman Rushdie.
Ich erinnere mich an den Satz "Dieses Chaos frisiert sich nicht" auf dem Cover einer Zeitschrift namens Springinkal.
Ich erinnere mich, wie mich einer der Bauer-Vorstände rundmachte, weil die Frauen in den Matador-Pictorials zu kleine Brüste hätten, und von mir verlangte, sie müssten "naturgeil" wirken.
Ich erinnere mich an den Nokia Communicator.
Ich erinnere mich, dass mir Ilona eine Woche vor meiner Matura ein Taschenbuch von Sartre mit der Widmung "zur erfolgreich bestandenen Matura" schenkte und für mich das der Anfang vom Ende war (während niemand sonst mir etwas zur erfolgreich bestandenen Matura schenkte).
Ich erinnere mich an "Sie werden platziert".
Ich erinnere mich (2/15)
Ich erinnere mich, dass die Dotterzwillinge, wenn sie sich eine Zigarette an einer zweiten, noch glühenden anzündeten, das "einen Kreisky machen" nannten. Erst Jahre später verstand ich, dass es sich um eine Anspielung auf Bruno Kreiskys jüdische Herkunft gehandelt hatte.
Ich erinnere mich, dass die Dotterzwillinge fragten, wie viele Juden in einen VW Käfer passen. Um dann grinsend "5001" zu sagen: "Einer am Lenkrad, 5000 im Aschenbecher."
Ich erinnere mich, dass es irgendwann über die Dotterzwillinge hieß, sie seien beide an einer Überdosis gestorben.
Ich erinnere mich an die Vornamen der Schinkokinder: Helwig, Gunhild und Adelheid.
Ich erinnere mich an die Aist.
Ich erinnere mich an kurze Hosen. Und wie sehr ich sie hasste.
Ich erinnere mich, dass in Neuseeland fast alle Männer kurze Hosen trugen. Auch in der Sauna.
Ich erinnere mich, dass die Berliner Sommer so heiß wurden, dass ich nur noch kurze Hosen trug.
Ich erinnere mich an die in Seidenpapier verpackten Schokoladentafeln, die Frau Krischke jedes Mal mitbrachte, wenn sie uns babysittete. Und dass sie für uns Orangen so schälte, dass sie wie aufgeblühte Seerosen aussahen.
Ich erinnere mich an die Malerinnen-Serie in der Brigitte meiner Mutter, die ich alle zwei Wochen ausschnitt.
Ich erinnere mich an die Courage.
Ich erinnere mich an unsere körper unser leben. In kleinbuchstaben.
ich erinnere mich an kleinbuchstaben. eine zeitlang waren sie richtig schick, ein protest gegen Großbuchstaben.
ICH ERINNERE MICH, DASS GROSSBUCHSTABEN BEDEUTETEN, DASS MAN ANGEBRÜLLT WURDE.
Ich erinnere mich an die Rechtschreibreform.
Ich erinnere mich, dass ich mir vornahm, niemals Tunfisch zu schreiben. Und es bis gerade eben nie getan zu haben.
Ich erinnere mich an Märtyrerbilder.
Märtyrer.
Ich erinnere mich, dass ich mich bei der Minderheitenfeststellung als slowenischsprachig deklarierte.
Ich erinnere mich an die Angst im Gesicht des Mannes, den ich auf einem Belfaster Friedhof nach dem Weg fragte.
Ich erinnere mich an meine Angst, wenn ich in Belfast an den Checkpoints von Soldaten abgetastet wurde, die kaum älter als ich und mit Maschinenpistolen bewaffnet waren.
Ich erinnere mich an das Karaoke der Thainutten beim Nuttenthai in der Großen Freiheit.
Ich erinnere mich an Montauk.
Ich erinnere mich an Montauk.
Ich erinnere mich an Fafa. Das Haus in Bellport. Die Hummer am Abend, auf der Rückfahrt von Montauk an einem Stand entlang der Straße gekauft.
Ich erinnere mich an David Hockney.
Ich erinnere mich, wie sehr ich David Hockney auf der Stelle mochte, weil er noch großartiger war als meine Vorstellungen über David Hockney.
Ich erinnere mich an minus Delta t.
Ich erinnere mich, dass minus Delta t von mir verlangte, nachts nackt eine Stunde lang ein Lagerfeuer zu umkreisen und dabei ein Lied zu singen.
Ich erinnere mich, dass ich mich auszog und nachts eine Stunde lang ein Lagerfeuer umkreiste, während ich Strangers in the Night trällerte.
Ich erinnere mich, dass minus Delta t mich dabei alleine ließ.
Ich erinnere mich an die Armut meiner Großeltern. Und dass es bei ihnen immer Tee und Grammastettner Krapfen gab.
Ich erinnere mich an den Eiffelturm.
Eiffelturm.
Ich erinnere mich an Vinzenz Murr.
Ich erinnere mich an den Tofuhauttrockner in einem Hinterhof in Kyoto.
Ich erinnere mich an die gegen Regen überdachten Straßen in Kyoto.
Ich erinnere mich an mein Erschrecken, als der Lackschalenmeister sagte, dass die Porzellanschale, aus der ich den Sake trank, aus dem sechsten Jahrhundert stammte.
Ich erinnere mich an die japanischen Familien, die mich darum baten, mich mit ihnen fotografieren zu lassen.
Ich erinnere mich, dass ich gehört hatte, in Tokio gebe es Drehscheiben, auf denen Frauen mit gespreizten Beinen saßen, damit man an ihnen schnuppern konnte, wenn sie an einem vorbeirotierten. Oder Lokale mit verspiegelten Fußböden, damit man den Kellnerinnen, die keine Unterwäsche trugen, zwischen die Beine sehen konnte. Und dass mir das irgendwie einfallsreich vorkam.
Ich erinnere mich, dass ich in Tokio manchmal nach der Schönheit der Schriftzeichen bestellte. Und etwas anderes bestellte, wenn der Kellner mich skeptisch ansah.
Ich erinnere mich an das Camelot.
Ich erinnere mich an das Front.
Ich erinnere mich an das U4.
Ich erinnere mich an die Stadtwerkstatt.
Ich erinnere mich an Violent Femmes. Und wie toll ich es fand, dass man Femmes wie "Femms" aussprach und nicht wie "Famm".
Ich erinnere mich an die Leerräume.
Ich erinnere mich an Elfriede Gerstl.
Ich erinnere mich an Kurt Rudolf Fischer.
Ich erinnere mich an "April is a cruel month".
Ich erinnere mich an den Suizidversuch Friederikes.
Ich erinnere mich, wie Gabi erzählte, jemand in ihrer Verwandtschaft habe sich umgebracht und einen völlig unleserlichen Abschiedsbrief hinterlassen.
Ich erinnere mich an den Mann, der mit mir im Zimmer lag und ununterbrochen darüber zeterte, dass er nach seiner Hämorrhoiden-OP eine Binde tragen musste, er sei schließlich keine Frau.
Ich erinnere mich an Kirschblüten.
Kirschblüten.
Ich erinnere mich an Stempelmarken.
Ich erinnere mich an die Spex.
Ich erinnere mich an modale Logik.
Ich erinnere mich, dass wir in der Fabrik langsamer wurden, wenn jemand aus den Anzugabteilungen auftauchte.
Ich erinnere mich an "Paul Valery / Earned a meagre salary / Walking in the Bois / Observing his Moi".
Ich erinnere mich an "Auf dem Scheißhaus sitzt ein Geist / Der jedem, der zu lange scheißt / Von unten in die Eier beißt".
Ich erinnere mich an Cortison-Spritzen gegen Heuschnupfen.
Ich erinnere mich an Marillen.
Ich erinnere mich an den Marillenschnaps in meiner Schreibtischschublade, für den Fall, dass jemand Trost brauchte.
Ich erinnere mich an den Brief, in dem I. schrieb, jemand habe ihr erzählt, ich sei fett geworden und wie sehr sie das gefreut habe.
Ich erinnere mich an das Nachtpostamt.
Ich erinnere mich an das Interview mit Katrin Achinger von den Kastrierten Philosophen, das nach zehn Minuten zu Ende war, weil die Hafenstraße geräumt werden sollten und wir deswegen zur Hafenstraße mussten.
Ich erinnere mich, dass ich mal Haare hatte.
Ich erinnere mich an die in der Pfanne gerösteten Brotscheiben in der Küche von Nika Brettschneider und Ludvík Kavín, die wir mit aufgeschnittenen Knoblauchzehen einrieben.
Ich erinnere mich, wie ich ein Jahr lang fast jeden Tag in der Kelle schwamm, ehe ich nach Hause ging, bis ich endlich 100 Bahnen am Stück schaffte.
Ich erinnere mich an meine Erleichterung, als ich erfuhr, dass auch Fritz Josef Raddatz in der Kelle schwamm, allerdings immer nur morgens.
Ich erinnere mich an Gebete.
Gebet.
Ich erinnere mich an Thomas Klestil.
Die Aufbahrung Thomas Klestils in der Hofburg.
Ich erinnere mich an die Lebenserinnerungen von Jože Javoršek.
Ich erinnere mich an das Manuskript mit den Lebenserinnerungen von Florence.
Ich erinnere mich, wie glücklich wir im Haus von Alison und Pat in London waren.
Ich erinnere mich an selbstgedrehte Zigaretten mit geriebener Muskatnuss oder getrockneten Bananenschalenfasern, weil wir gehört hatten, dass man davon high werden konnte.
Ich erinnere mich an "high".
Ich erinnere mich an meine Verwirrung nach meinem allerersten Orgasmus. Und dass sie mich nicht davon abhielt, gleich wieder verwirrt sein wollen.
Ich erinnere mich an Kirchschlag.
Ich erinnere mich an die Alkoholvergiftung meines Bruders. Und dass er, als er im Krankenhaus aufwachte und bemerkte, wo er gelandet war, im Krankenhaus-Nachthemd abzuhauen versuchte.
Ich erinnere mich an die Großzügigkeit meiner Eltern bei Geschenken.
Ich erinnere mich an die Kleinlichkeit meiner Eltern bei Gefühlen.
Ich erinnere mich an Anne Urbauers Text über den Dresscode von Selbstmordattentätern.
Ich erinnere mich an den Elektroschmid.
Ich erinnere mich an fancy grüne Cocktails.
Ich erinnere mich an Farben.
Ich erinnere mich, dass ich Punk erst ein Jahr nach seiner Entstehung mitbekam.
Ich erinnere mich, wie groß die Sex Pistols waren.
Ich erinnere mich, wie enttäuschend ich Nirvana fand.
Ich erinnere mich an Madonna, eine gelangweilt herumsitzende Frau, die sich ansehen, aber kein Wort mit sich sprechen ließ.
Ich erinnere mich an Drew Barrymore, eine Stimme am Telefon, die wie ein Sturzbach fröhlich vor sich hinplapperte.
Ich erinnere mich an Cher, eine Erscheinung, die sich selbst erschaffen hatte.
Ich erinnere mich an mein Glück jedes Mal, wenn ich eine Frau zum ersten Mal nackt sah.
Ich erinnere mich, dass ich immer lieber erst lange geschaut hätte, es aber nie dazu kam, weil sie, jedenfalls nicht von mir, nicht so lange angeschaut werden wollte.
Ich erinnere mich, dass Ebba erzählte, wie ihr Vater immer auf ihre Brüste gestarrt hatte.
Ich erinnere mich, dass es Zigaretten auch in 10er-Packungen gab.
Ich erinnere mich an Namen österreichischer Zigarettensorten: Hobby, Flirt Filter, Dames, Smart Export.
Ich erinnere mich, dass ich mir in Zürich alle Gauloises-Sorten kaufte, sicher mehr als Dutzend. Sogar mit Maispapier.
Ich erinnere mich, dass ich keine Ahnung hatte, was Maispapier war. Und noch immer keine habe.
Ich erinnere mich, wie ich in der Druckerei der NZZ darum bat,"Stop the press!" sagen zu dürfen. (Die Antwort lautete: nein.)
Ich erinnere mich an die Ferraris von Hermann Burger. Einen echten und ein halbes Dutzend Modelle.
Ich erinnere mich an Abendsonne.
Abendsonne.
Ich erinnere mich (3/15)
Ich erinnere mich, dass ich als Kind fürs Fotografiertwerden stillhalten musste.
Ich erinnere mich, dass man nicht ins Badezimmer durfte, wenn mein Vater seine Filme entwickelte.
Ich erinnere mich, dass Filme teuer waren.
Ich erinnere mich, dass sich die Fotografen beim Stern immer eine Taschenladung Filme geben ließen, ehe sie loszogen.
Ich erinnere mich, dass Volker "Sicherheitsschüsse" aufnahm, ehe er wirklich loslegte.
Ich erinnere mich, dass Karin Querformate fotografierte, um Doppel- statt Einzelseiten zu bekommen.
Ich erinnere mich an Dias.
Ich erinnere mich, dass Behnken „zeig mir die Restbilder“ sagte, schon bevor er sich die Diavorführung mit der Auswahl des Fotografen zu Ende angesehen hatte.
Ich erinnere mich an die Freundlichkeit Thomas Höpkers.
Ich erinnere mich an Elizabeth Biondi. Und wie glamourös ich es fand, dass sie beim New Yorker gearbeitet hatte.
Ich erinnere mich an fest angestellte Fotografen.
Ich erinnere mich, dass sowohl Fanny als auch Hedi irgendwann damit begannen, sich auf meinem Iphone immer wieder die Babyfotos ansehen zu wollen, die ich von ihnen gemacht hatte. Ihr Entzücken, wenn sie sich selbst als Baby sahen.
Ich erinnere mich, wie irritierend ich es lange fand, wenn Leute in Konzerten die Band auf der Bühne fotografierten, statt ihr zuzuhören.
Ich erinnere mich an Lomografie.
Ich erinnere mich, dass ich als Kind davon überzeugt war, blind zu werden und deswegen die Schrittzahlen für die Wege in unserer Wohnung auswendig lernte.
Ich erinnere mich immer noch an Teile der Telefonnummer dieser Wohnung, während ich Okkas Handynummer immer noch nicht auswendig kenne.
Ich erinnere mich, dass meine erste Brille unbedingt eine John-Lennon-Brille sein sollte. Die Erwachsenen nannten sie Nickelbrille.
Ich erinnere mich, wie nah die Welt wirkte, als ich meine John-Lennon-Brille zum ersten Mal aufsetzte.
Ich erinnere mich an das Institut für künstliche Augen.
Institut für künstliche Augen.
Ich erinnere mich, wie erschrocken wir waren, als wir bei einem Interview mit einer Blinden merkten, wie grauenhaft die Wohnung aussah, die ihr Freund für sie eingerichtet hatte. Hinterher fragten wir uns, ob wir es ihr sagen hätten sollen.
Ich erinnere mich an meine Fantasie, mir ein Theaterstück über Kurzsichtige auszudenken, für das die Schauspieler Brillen tragen sollten, die ihre Sicht unscharf machten.
Ich erinnere mich, dass ich meine Brillenfassung mit Isolierband kleben musste, nachdem Fanny mir die Brille aus dem Gesicht gefischt hatte.
Ich erinnere mich an Carmen.
Ich erinnere mich, dass F. mir erzählte, er wisse, dass G. mit einem anderen geschlafen habe, ich ihm aber nicht, dass ich das gewesen war.
Ich erinnere mich, dass man für das Telefonieren zu Hause sein musste.
Ich erinnere mich, dass es Viertelanschlüsse gab.
Ich erinnere mich, dass ich Nachbarn hasste, die ständig telefonierten, weil ich dann selbst nicht anrufen oder angerufen werden konnte.
Ich erinnere mich, dass ich erfuhr, man könne die Telefonate der Leute, mit denen man sich einen Viertelanschluss teilte, abbrechen, indem man mit einer Stecknadel in sein eigenes Telefonkabel steche.
Ich erinnere mich, wie großartig ich es fand, dass das stimmte.
Ich erinnere mich, dass man zwischen Ortsgesprächen und Ferngesprächen unterschied. Und Ferngespräche teuer waren.
Ich erinnere mich, dass bei vielen Telefonaten meine Eltern im selben Raum waren und ich deswegen in Umschreibungen und Anspielungen sprechen musste.
Ich erinnere mich, dass man Gespräche in die DDR anmelden musste.
Ich erinnere mich, wie sehr es in Ostberlin stank.
Ich erinnere mich, wie irritierend es war, dass es kaum Werbung gab. Wie bei uns auf dem Land, dachte ich.
Ich erinnere mich an den leer stehenden Raum in der riesigen Wohnung Gundulas, in dem es durchs Dach regnete.
Ich erinnere mich, dass ich mich im Taxi von Ostberlin nach Dresden fahren ließ, weil das am schnellsten ging.
Ich erinnere mich, dass sich der Taxifahrer an der Stadtgrenze von Berlin bei einem Polizeiposten abmelden musste.
Ich erinnere mich, dass es in Dresden noch schlimmer stank als Ostberlin.
Ich erinnere mich an Angkor Wat.
In Angkor Wat.
Ich erinnere mich, wieviel Stress die Spesenabrechnungen von S. waren, wenn er wieder einmal behauptet hatte, sein Interviewpartner hätte sich nur unter der Bedingung eines mehrgängigen Essens in einem teuren Restaurant zu sprechen bereit erklärt. Mit Weinbegleitung zu jedem einzelnen Gang.
Ich erinnere mich, wie viel Freude es mir machte, aus Spesenabrechnungen ein paar Mark herauszustreichen, weil der Typ, wenn er schon die Bild lesen wollte, selbst dafür bezahlen sollte.
Ich erinnere mich an das Wort "Kostenstellenstellenleiter".
Ich erinnere mich, wie protzig sich dieses Hotel in Dresden gab. Mit eigenem Südsee-Restaurant!
Ich erinnere mich an Tupperware.
Ich erinnere mich an Schultaschen aus Leder.
Ich erinnere mich an Kindergartentaschen aus Leder.
Ich erinnere mich an Lederhosen. Und wie sehr ich sie hasste. Und dass ich es schaffte, nie eine tragen zu müssen.
Ich erinnere mich, wie grauenhaft ich jedes Foto fand, auf dem ein Bayern-Spieler, bayerischer Prominenter oder bayerischer Politiker Lederhosen anhatte.
Ich erinnere mich an die Lederflicken meines Großvaters.
Ich erinnere mich an Krokodilleder.
Ich erinnere mich an Schlangenleder.
Ich erinnere mich an das Regal mit den Schuhleisten bei meinem Großvater.
Ich erinnere mich, dass wir bei meinen Großeltern bei einer Schweinegeburt achtgeben mussten, die Ferkel zu retten, weil die Sau sie totbeißen wollte. Jedenfalls wurde es so erzählt.
Ich erinnere mich an Manifeste.
Manifest für Kaninchenrechte.
Ich erinnere mich an Rei Kawakubo.
Ich erinnere mich an Michaela.
Ich erinnere mich, wie glücklich ich oft darüber gewesen bin, dass Michaela die erste Frau war, die mit mir geschlafen hat.
Ich erinnere mich an die Zeit, die wir uns ließen, bis es soweit war. Monate.
Ich erinnere mich, dass sie sich danach von mir zur Fähre begleiten ließ, die sie zurück nach England brachte, während ich noch zwei Wochen in Irland blieb.
Ich erinnere mich an den Phoenix Park in Dublin.
Ich erinnere mich an den total verfetteten Amerikaner in Dublin, der von seinem Einsatz in Vietnam erzählte und sich mit Parfüm regelrecht übergoss.
Ich erinnere mich an Praschl & Preschl, das Theaterkritikerpaar des Wiener.
Ich erinnere mich an Baumeister Solness in der Inszenierung von Peter Zadek.
Ich erinnere mich an meine Theaterkritiker-Fantasie, mit den Worten "Ihr spielt das doch nur" die Bühne zu stürmen.
Ich erinnere mich an Crispy Fish in der Sailors Thai Canteen.
Ich erinnere mich an mein Interview mit Mick Jagger, das so zäh war, dass ich nach 20 Minuten statt nach der vereinbarten Stunde aufstand, um ihn nicht noch länger zu nerven.
Ich erinnere mich, dass ich ihm im Hinausgehen eine Frage über den Cricketclub stellte, den er unterstützte, und wir danach eine Dreiviertelstunde über Cricket sprachen, genauer gesagt er, ich hatte ja keine Ahnung.
Ich erinnere mich an Geschäftsreisen.
Ich erinnere mich an Pressereisen.
Ich erinnere mich an Chioggia.
Ich erinnere mich an die Leihsegelsboote im Jardin du Luxembourg.
Im Jardin du Luxembourg.
Ich erinnere mich an SelfHTML.
Ich erinnere mich an Textism. Weblog eines in Südfrankreich lebenden ungemein sympathischen Kanadiers namens Dean Allen, der nicht nur sein umwerfendes Weblog betrieb, sondern sich auch eine Markup-Sprache (Textile) und ein Weblogsystem (Textpattern) ausgedacht hatte, von dem seltenen Bedürfnis getrieben, etwas richtig zu machen. Und dann hieß es, er sei gestorben.
Ich erinnere mich an die Sowjetunion.
Ich erinnere mich an das 20. Jahrhundert.
Ich erinnere mich, dass Roger Willemsen mich einen „Publizisten“ nannte.
Ich erinnere mich, dass Hans Söllner im Interview sagte: "I brauch kan Jugoslawienkriag, i hob a Familie".
Ich erinnere mich an Lancelot du Lac.
Ich erinnere mich an Let Love Rumpel.
Ich erinnere mich an Ilhan Mimaroglu.
Ich erinnere mich an die Arena-Besetzung.
Ich erinnere mich, dass ich im Kindergarten der besetzten Arena arbeitete, weil ich für Erwachsene zu schüchtern war.
Ich erinnere mich an Smash Hitler!
Smash Hitler!
Ich erinnere mich an Diagonal – Radio für Zeitgenossen.
Ich erinnere mich an mein erstes Thai-Curry. In Tokio. Mit Walter Vogl. Mit dem ich danach noch in einem Irish Pub war.
Ich erinnere mich an meine ersten Scampi. In Trieste. Mit meinen Eltern. Die mir danach leider nie wieder Scampi bestellten.
Ich erinnere mich an: "If in doubt grill fish".
Ich erinnere mich, dass Knuth und ich in Siam Reap gesagt bekamen, die sinnvollste Unterstützung für das Dorfes sei es, um 100 Dollar Reis zu kaufen. Und dass wir für diese 100 Dollar eine ganze Lastwagenladung Reis bekamen.
Ich erinnere mich, wie glücklich ich jedes Mal nach 100 Kilometern auf dem Fahrrad im Gym gewesen bin.
Ich erinnere mich an die Konditorei in Windhuk, in der es Schwarzwälder Kirschtorte gab.
Ich erinnere mich an die Elefantenherde, die in der Namib vor uns auftauchte.
Elefanten in der Namib.
Ich erinnere mich an Meringues.
Ich erinnere mich an Fiorucci.
Ich erinnere mich an die Jungle World.
Ich erinnere mich an Jonathan Newhouses Brief mit dem Satz "In business, as in life, there are victories and there are defeats. We did our best". Nachdem er uns ein paar Tage zuvor versichert hatte: "We are publishers. We publish".
Ich erinnere mich an das New York Magazine.
Ich erinnere mich an den Camel Air Rave.
Ich erinnere mich an den 28.5.2005.
Ich erinnere mich (4/15)
Ich erinnere mich an lange Piers. Man saß an ihrem Ende und fühlte sich, als säße man mitten im Meer. Manchmal der Gedanke: Jetzt untergehen! Untergehen, wenn es am schönsten ist!
Ich erinnere mich an den Sonnencreme-Duft in hölzernen Umkleidekabinen von Strandbädern.
Ich erinnere mich an „Maria Mutter Gottes“
Ich erinnere mich an die Raincoats.
Ich erinnere mich an den Mann vor uns im Theater, der seiner blinden Frau erzählte, was gerade auf der Bühne passierte.
Ich erinnere mich an das Amok-Theater mit Herbert Adamec.
Ich erinnere mich, dass ich im Internet las, dass Herbert Adamec Suizid begangen hatte.
Ich erinnere mich an Tode, von denen ich erst erfuhr, wenn ich jemandem hinterher gegooglet hatte, an den ich mich erinnerte.
Ich erinnere mich an Herbert Hrachovec.
Ich erinnere mich an Iris Hanika.
Ich erinnere mich an Die Mama und die Hure.
Ich erinnere mich an das Video von Die Mama und die Hure, das ich geschenkt bekommen hatte und nicht abspielen konnte, weil ich keinen Videorecorder mehr hatte.
Ich erinnere mich an den Monolog von Françoise Lebrun in Die Mama und die Hure, in dem sie das Herumvögeln ohne Liebe verdammt.
Ich erinnere mich, dass ich die Liebe mehr liebte als Herumvögeln.
Ich erinnere mich an Deutschland im Herbst.
Ich erinnere mich an Deutschland im Winter.
Ich erinnere mich an Deutschland im Frühling.
Ich erinnere mich an Deutschland im Sommer.
Ich erinnere mich an Langsamer Sommer von John Cook.
Ich erinnere mich an Himmel und Erde von Michael Pilz.
Ich erinnere mich daran, dass ich mich an den Filmemacher Michael Pilz erinnerte, als ich den Journalisten Michael Pilz kennenlernte.
Ich erinnere mich an Pilze.
Ich erinnere mich an einen Text, in dem stand, dass Pilze eine intelligente Lebensform sind und wie das Internet funktionieren.
Ich erinnere mich an die Nacht in der Havelhöhe, als wir nach Fannys Geburt im Kreissaal liegen bleiben und schlafen durften.
Eine Nacht in der Havelhöhe.
Ich erinnere mich an Snoopy.
Ich erinnere mich an das T-Shirt, auf dem Snoopy die Fahne der Antifaschistischen Aktion hochhält.
Ich erinnere mich das Neue Forvm.
Ich erinnere mich an das Neue lote Folum.
Ich erinnere mich an Manès Sperber.
Ich erinnere mich an das Schild "Adolf Eichmann & Söhne" in Linz.
Ich erinnere mich an Echolaliste.
Ich erinnere mich an die Nike von Linz.
Ich erinnere mich an Olivenöl.
Ich erinnere mich an "Geht auf Wahrem dein Fuß nicht wie auf Teppichen?"
Ich erinnere mich an Franz Jung.
Ich erinnere mich an Monika Lehner.
Ich erinnere mich an Gletscher.
Gletscher.
Ich erinnere mich an Wasserfälle.
Wasserfall.
Ich erinnere mich an Die Wasserfälle von Slunj.
Ich erinnere mich an Vulkane.
Ich erinnere mich an Fingerkuppen.
Ich erinnere mich an Dampfloks. Und an den Ruß im Gesicht, wenn man den Kopf zum Fenster hinausstreckte. „E pericoloso sporgersi“!
Ich erinnere mich daran, dass man in Österreich "angreifen" sagte, wenn man jemanden berührte. Und wie schlimm ich es fand, dass es in Deutschland "anfassen" hieß. Während deutsche Frauen es schlimm fanden, dass ich sie "angreifen" wollte.
Ich erinnere mich an den szenischen Einstieg.
Ich erinnere mich an den Abbinder.
Ich erinnere mich an die Doublette.
Ich erinnere mich an das Telegramm, in dem "Heidi sagt Text Scheisse Stop Bis morgen neu" stand.
Ich erinnere mich, dass ich Telegramme aufgab, nur um Stop unterbringen zu können.
Ich erinnere mich an Presseveranstaltungen.
Ich erinnere mich an Zaubertafeln.
Ich erinnere mich an Kaleidoskope.
Ich erinnere mich an Spritzpistolen.
Ich erinnere mich an Kapselrevolver.
Ich erinnere mich an Kreisel.
Ich erinnere mich an Sammelalben.
Ich erinnere mich an Plastikmodelle. Den Flugzeugträger. Die Saturn V mit Mondfähre.
Ich erinnere mich an den Geruch der Farben, mit denen man Plastikmodelle anmalte.
Ich erinnere mich an Windräder.
Ich erinnere mich an Papierdrachen.
Ich erinnere mich an Buntpapier.
Ich erinnere mich an Geheimtinte.
Ich erinnere mich, dass die Paartherapeutin sagte, ich müsse an meiner Männlichkeit arbeiten. Und ich danach nicht mehr kam.
Ich erinnere mich an Kennenlernrunden mit Kennenlernspielen.
Ich erinnere mich an das Geräusch der Tennisbälle im Jardin du Luxembourg.
Ich erinnere mich an den Hall der Schritte in der Église Saint-Sulpice.
Ich erinnere mich, dass ich in Paris jedes Mal in der Église Saint-Sulpice eine Kerze für uns anzündete.
In der Église Saint-Sulpice.
Ich erinnere mich, dass ich in Clubs anderen beim Tanzen zusah, aber selbst nicht tanzte. Und mich bei Parties oft am Rand hielt.
Ich erinnere mich, dass ich das Wort "cornern" sofort mochte.
Ich erinnere mich an Sofa rites de passage. Und wie stolz ich auf diesen Witz war, den wahrscheinlich niemand verstand.
Ich erinnere mich an die Einwahlgeräusche des Modems.
Ich erinnere mich an die Euroranch.
Ich erinnere mich an Peter Friedl.
Ich erinnere mich an Kleine Farbe und Große Farbe. Und an Vorprodukt.
Ich erinnere mich an Ernst Fischer.
Ich erinnere mich, dass Ernst Fischer mit einer Mappe herumlief, deren Umschlag wie der Umschlag der Hitler-Tagebücher aussah. Mit denselben falschen Initialen: FH.
Ich erinnere mich, über Ernst Fischer gehört zu haben, dass er jeden Abend um dieselbe Uhrzeit am Schumann's vorbeirradelte und ihn dort schon ein Kellner mit einem kleinen Teller erwartete, auf dem eine Zigarette lag.
Ich erinnere mich an Blogmich.
Ich erinnere mich an das Random piquenique bei der Blogmich.
Ich erinnere mich, dass ich zum Random piquenique bei der Blogmich ein riesiges Rad Camenbert mitbrachte, sicher ein Meter im Durchmesser.
Ich erinnere mich an Antville.
Ich erinnere mich, wie glücklich mich Antville gemacht hat.
Ich erinnere mich das Kartoffelpüree in der Kantine des Konzentrationslagers Auschwitz. Und wie hungrig ich es verschlang. Irgendeine kreatürliche Reaktion auf die Schrecken, die wir dort sahen.
Ich erinnere mich an den Sodawasserverkäufer im Konzentrationslager Auschwitz.
In Auschwitz.
Ich erinnere mich, Maxim Biller für die Zeile Auschwitz sehen und sterben beneidet zu haben.
Ich erinnere mich, wie ich nach über einem Jahr bei Cafélix wieder Amir sitzen sah & er mich fragte, wie es mir denn gehe & ich erzählte, dass ich gerade viel zu tun habe & er ARBEIT MACHT FREI sagte & über meinen Blick loslachte & "ich darf das sagen" sagte & dann erzählte dass er jetzt für ein Venture Capital-Dingsbums arbeite & mit mir gleich wieder über Theater redete & auf meine Frage, was die beste Inszenierung seines Lebens gewesen sei, sein Handy zückte und für mich auf youTube eine Aufführung von Hanoch Levins Requiem heraussuchte, die ich natürlich nicht verstand, weil sie hebräisch war & erzählte, worum es ging, dass da irgendwer auf der Suche nach Leichen durch die Gegend fuhr und jemand sagte, dass Pussies nach Hering riechen, & in diesem Augenblick ein Cafélixkellner sagte, er sei draufgekommen, dass die Zeichnung auf seiner Handyhülle wie eine Pussy aussehe & wie irre glücklich ich in diesem Augenblick war.
Ich erinnere mich an das Cafélix.
Ich erinnere mich an das Mapitom.
Ich erinnere mich an das Léonar.
Ich erinnere mich an die dicken Wassergläser in Los Angeles. Und an die Kellnerin, die aus einer Karaffe nachschenkte.
Ich erinnere mich, wie dankbar ich Volker Hintz war, dass er mir Los Angeles gezeigt hatte. Musso & Frank. Den Rodeo Drive. Nie habe ich mich bei ihm dafür bedankt. Wie oft nicht, wenn ich jemandem etwas zu verdanken hatte, von dem ich oft erst Jahre später bemerkte, wie wichtig es für mich gewesen war.
Ich erinnere mich, wie Pia Düsterhuis jeden Morgen ihre Stimme einsang.
Ich erinnere mich an den Singvogelmarkt in Hongkong.
Ich erinnere mich an das Elektronikviertel in Tokio.
Ich erinnere mich an den infernalischen Lärm in Patschinkohallen.
Ich erinnere mich an den infernalischen Lärm auf dem Oktoberfest.
Ich erinnere mich, dass wir nach zehn Minuten aus dem Ramones-Konzert flohen, weil es zu laut für Heike in ihrem achten Schwangerschaftsmonat war.
Ich erinnere mich an das "RIP Chris Marker"-Graffiti auf einem Gerüst in Paris.
RIP Chris Marker.
Ich erinnere mich an Verrechnungsschecks.
Ich erinnere mich an Reiseschecks.
Ich erinnere mich an Sparbücher.
Ich erinnere mich (5/15)
Ich erinnere mich an die Gemeinschaftsaktionen in der Schule. Wandertage. Weltspartag. Filmring der Jugend. Gemeinsam zur Beichte vor der Ersten Heiligen Kommunion. Schularzt-Untersuchungen.
Ich erinnere mich, dass mich in München ein Taxifahrer urplötzlich beschimpfte: "Ihr nehmts uns die Frauen weg" tobte er und hörte gar nicht mehr auf.
Ich erinnere mich an die deprimierende aufblasbare Matratze in der Einzimmerwohnung in der Schulgasse, die ich im Einkaufszentrum Neuperlach gekauft hatte und auf der ich ein Jahr lang schlief, weil nichts in mir damit einverstanden war, Möbel für einen Ort anzuschaffen, an dem ich nicht sein wollte.
Ich erinnere mich an Steffis Hochzeit auf Sylt.
Ich erinnere mich an den Satz "Detlef, schwitz nicht so" auf Ullas Hochzeit.
Ich erinnere mich an Rindssuppn.
Ich erinnere mich, dass ich manchmal nur für mich Wörter österreichisch aussprach, weil ich die Sehnsucht hatte, österreichisch ausgesprochene Wörter zu hören.
Ich erinnere mich das Knirschen von Streu im Winter.
Ich erinnere mich an Blitzeis.
Ich erinnere mich an die Krähen während der Wintermonate in Wien.
Ich erinnere mich an Hydra.
Ich erinnere mich, wie toll ich es fand, dass man manche Orte nur per Schiff erreichen konnte.
Ich erinnere mich an Seekrankheit.
Ich erinnere mich, wie hundeelend sie unter Deck lag, während wir den Begeisterungsrufe über die Wale zuhörten.
Ich erinnere mich, dass die Exkursion zu den Polarlichtern ein Totalflop war.
Ich erinnere mich an Leute, die sich bei Buffets die Teller vollluden, statt sich Nachschlag zu holen.
Ich erinnere mich, wie Sonja die Tschechow-Monologe für ihre Aufnahmeprüfung bei mir ausprobierte.
Ich erinnere mich, dass ich oft so viel erzählte, dass niemandem auffiel, dass ich die wichtigen Dinge nicht erzählte.
Ich erinnere mich an Landdeppen.
Ich erinnere mich an das Gefühl, ein Landdepp zu sein.
Ich erinnere mich an meinen Unglauben, dass Menschen, die ich kannte, zurück nach Linz wollten, weil ihnen Wien zu groß war.
Ich erinnere mich an die Pöstlingbergbahn.
Pöstlingbergbahn.
Ich erinnere mich, dass ich als Kind einmal von zu Hause abhauen wollte, es mit meinem Rucksack aber nur bis in den Keller schaffte und nach einer Viertelstunde wieder zurück war.
Ich erinnere mich, dass ich nach einem Kinobesuch mit meinem Vater auf der Straße meine Kinderhand in die Hand eines Fremden schob und wir beide nach einer Sekunde erschraken.
Ich erinnere mich, dass ich mich danach noch jahrelang fragte, was aus mir geworden wäre, wenn der Fremde mich mitgenommen hätte.
Ich erinnere mich an "Was macht eigentlich?"-Rubriken.
Ich erinnere mich an Fernsehsendungen, in denen ehemalige Popstars ihre ehemaligen Hits vorspielten.
Ich erinnere mich an die Beschreibung "ein flächiges Gesicht".
Ich erinnere mich, dass mir selten einfiel, wie man Menschen oder Landschaften beschreiben konnte.
Ich erinnere mich, dass ich bei Fotos von Sybille Berg und Moritz von Uslar manchmal das Gefühl hatte, jemand hätte ihren Kopf gequetscht.
Ich erinnere mich, dass mich immer wieder der Impuls überkam, Claus Kleber den Hals einzurenken.
Ich erinnere mich, dass ich es jedes Mal, wenn ich Harriett von Waldenfels im Frühstücksfernsehen sah, irritierend fand, wie ihre Haare auf der einen Seite nach vorne und auf der anderen nach hinten fielen.
Ich erinnere mich an den Jojo-Effekt bei Joschka Fischer.
Ich erinnere mich an die kollektive Kohlsuppendiät in der Amica-Redaktion.
Ich erinnere mich an die Reisebilder von Edoardo Sanguinetti.
Aus "Reisebilder" von Edoardo Sanguinetti.
Ich erinnere mich an Gerard Manley Hopkins.
Ich erinnere mich an die Kindheit meiner Kinder.
Ich erinnere mich an das Jucken, wenn nach dem Schwimmen in der Sonne langsam das Salzwasser auf der Haut trocknete.
Ich erinnere mich an oben ohne.
Ich erinnere mich an Texte, in denen Journalistinnen berichteten, wie sie sich fühlten, wenn sie oben ohne baden gingen.
Ich erinnere mich, dass ich jedes Mal dachte, dass oben ohne früher kein Problem war.
Ich erinnere mich, dass oben ohne immer ein Problem gewesen ist.
Ich erinnere mich an Skinny Dipping.
Ich erinnere mich an Showgirls in einem Kino in New York, und hinter uns sagte jemand "the nails of death".
Ich erinnere mich an den Friedhof in Sha Tin, auf dem die Menschen auf den Gräbern ihrer verstorbenen Angehörigen picknickten.
Ich erinnere mich an die Gräber auf dem Friedhof von Menton, Dramen in Stein.
Ich erinnere mich an Aidstests.
Ich erinnere mich, wie schick ich den Namen "Tropenkrankenhaus" fand.
Ich erinnere mich an den Affenfelsen.
Ich erinnere mich an das Sozialchappi jeden Donnerstag abends für alle, die die aktuelle Stern-Ausgabe fertig machen mussten. Manche blieben, obwohl sie nichts zu tun hatten, um ein Gratis-Abendessen zu bekommen. Und dann aßen wir zusammen, zu dritt oder viert in einem der Büros, in denen sonst höchstens zwei saßen, und es war in diesen Momenten, als gehörten wir zusammen.
Ich erinnere mich an das Hurenkind und dass es unbedingt zu vermeiden war.
Ich erinnere mich an Flattersatz.
Ich erinnere mich an den Satz "Hauptsache, die Scheisse blockt".
Ich erinnere mich an meine Bemerkung, die allerschlimmste Überschrift für den Artikel über Annie Lennox in Venedig wäre wohl "Wenn die Gondeln Power tragen". Woraufhin Langenkamp das sofort zur Headline machte.
Ich erinnere mich an das Museum of Broken Relationships in Zagreb.
Ich erinnere mich an das Kriegsmuseum in Zagreb.
In Zagreb.
Ich erinnere mich an den Raum im Imperial War Museum in London, in dem man darüber informiert wurde, wie die Londoner den Blitz erlebt hatten.
Ich erinnere mich an Glenn Branca.
Ich erinnere mich an den Anfang von Gravity Rainbow.
Ich erinnere mich an Tippex.
Ich erinnere mich an Tintenkiller.
Ich erinnere mich an Farbbänder.
Ich erinnere mich an zweifarbige Farbbänder.
Ich erinnere mich an Kassettenrecorder.
Ich erinnere mich an Radiorecorder.
Ich erinnere mich an C60, C90 und C120.
Ich erinnere mich an das Fernsehen.
Ich erinnere mich an das Schichtarbeiterprogramm.
Ich erinnere mich an das Messeprogramm.
Ich erinnere mich an die Tour de France.
Ich erinnere mich an Heli Köglberger.
Ich erinnere mich an Almdudler.
Ich erinnere mich an Maisfelder.
Ich erinnere mich an mich.
Selfie.
Ich erinnere mich ans Genähtwerden.
Ich erinnere mich an Schluckimpfungen in der Schule.
Ich erinnere mich, dass ich mit jemandem in die Klasse ging, der hinkte, weil er Kinderlähmung gehabt hatte.
Ich erinnere mich an Websites, auf denen die groteskesten Vorschläge von Autokorrekturen gesammelt wurden.
Ich erinnere mich an meine Dankbarkeit, als ich Panko entdeckt hatte und endlich in Berlin wieder Schnitzel mit einer anständigen Panier machen konnte.
Ich erinnere mich an Weltraumkugelschreiber. Auf dem Kopf schreiben! Ohne dass die Tinte ausläuft!
Ich erinnere mich an den alten Chinesen in Paris, der für Fanny ein Bonbon aus der Jackentasche zog, als wir an ihm vorübergingen.
Ich erinnere mich, wie Okka jedes Mal, wenn sie jemanden mit einem Baby getroffen hatte, sagte, dass sie noch gerne etwas Kleines hätte.
Ich erinnere mich, dass sich Hunde und Babies immer sofort bei ihr wohlfühlten.
Ich erinnere mich an Weihnachtsfilme.
Ich erinnere mich, dass ich mir manchmal Kultfilme wie Brazil oder Ferris Buehler macht blau ansah und nicht verstand, warum sie Kultfilme geworden waren.
Ich erinnere mich an die Tanzeinlagen im Publikum bei den Open Air-Kinovorstellungen im Bryant Park.
Open Air-Kino im Bryant Park.
Ich erinnere mich an das Bedauern des Taxifahrers in San Francisco, dass ich zu Thanksgiving im Flugzeug sitzen musste.
Ich erinnere mich an Hans Dieter Gütt.
Ich erinnere mich, wie Hans Dieter Gütt mit einer Herald Tribune in seiner Jackentasche immer erst zu Mittag in die Redaktion kam und sich erst einmal auf sein Chippendale Sofa legte, um über seinen wöchentlichen Kommentar nachzudenken.
Ich erinnere mich, wie Hans Dieter Gütt mir eine Korrespondenz mit einem seiner Leser übergab, er habe das nun schon lange genug gemacht. Und dass ein paar Tage später die Nachricht von seinem Suizid kam.
Ich erinnere mich, dass es hieß, Hans Dieter Gütt habe sich wegen der deutschen Wiedervereinigung umgebracht. Und ich das sofort glaubte.
Ich erinnere mich an Lackschuhe.
Ich erinnere mich an beschlagene Schuhe, in denen man steppen konnte.
Ich erinnere mich an spitze Schuhe.
Ich erinnere mich an zu klein gewordene Schuhe.
Ich erinnere mich an Skischuhe.
Ich erinnere mich, dass Sandalen "Klapperl" hießen, weil sie beim Rennen klapperten.
Ich erinnere mich an das Geräusch, wenn Frauen in Flip Flops gingen.
Ich erinnere mich an den bedauernden Gesichtsausdruck von Schuhverkäufern, wenn ich "Größe 47" sagte.
Ich erinnere mich an die Erleichterung, dass es keine Schlittschuhe in Größe 47 zum Ausleihen gab.
Ich erinnere mich an Barack Obama.
Barack Obama.
Ich erinnere mich (6/15)
Ich erinnere mich, dass der Göweilbauer "arschlings" sagte, wenn er "rückwärts" meinte.
Ich erinnere mich, dass ich mich manchmal in der Wikipedia müde las, wenn ich nicht einschlafen konnte.
Ich erinnere mich an Die komplette LP. Eine Dreiviertelstunde, in der niemand in die Musik hinreinredete und die man deswegen aufnehmen konnte.
Ich erinnere mich, dass ich ein paar Monate lang gegenüber eines Hotels wohnte, in dem ständig Busse mit Reisegesellschaften ankamen.
Ich erinnere mich, dass ich das Licht bei mir in der Wohnung ausmachte, wenn abends ein Bus ankam, und an meinem Schreibtisch hoffte, einer von den Reisenden, die ein paar Minuten später ihre Zimmer betraten, werde vergessen, die Jalousien herunterzuziehen.
Ich erinnere mich, dass sich nie jemand auszog.
Ich erinnere mich an den Pferdeschlachthof.
Ich erinnere mich, dass es über einen der Arbeiter im Pferdeschlachthof hieß, bei ihm würden die Tiere ganz ruhig.
Ich erinnere mich, wie dick und schwer Ministrantengewänder waren.
Ich erinnere mich an Frühmessen.
Ich erinnere mich, wie schwer es mir fiel, aus der Kirche auszutreten, obwohl ich "schon jahrelang nicht an Gott geglaubt" hatte.
Ich erinnere mich, dass ich ein Kreuzzeichen schlug, wann immer ich auf einen Friedhof kam, obwohl ich nicht an Gott glaubte.
Ich erinnere mich an Weihwasser.
Ich erinnere mich an Büchsenöffner mit Dorn.
Ich erinnere mich an mein Klapprad.
Ich erinnere mich an die Durian, die ich mit Knuth gegessen habe. Und an unsere Freude darüber, dass sie tatsächlich fast unerträglich stank, aber gut schmeckte.
Ich erinnere mich an die Minensucher in Kambodscha.
Ein Minensucher.
Ich erinnere mich an das österreichische Generalkonsulat in Hamburg.
Ich erinnere mich an die österreichische Botschaft in London, die mir 700 Schilling lieh, damit ich mir eine Zugfahrkarte kaufen konnte, nachdem mir in einer Jugendherberge in Belfast mein Interrail-Ticket gestohlen worden war.
Ich erinnere mich an Unterröcke.
Ich erinnere mich an den Kurden im Pfeilheim, der oft bei mir im Zimmer saß, ohne je ein einziges Wort zu reden.
Ich erinnere mich an den Z-Club.
Ich erinnere mich das Actionkino.
Ich erinnere mich an das Stadtkino.
Ich erinnere mich, dass ich fast in Tränen ausbrach, als ich im ersten Corona-Lockdown am Himmel ein Flugzeug Kondensstreifen hinter sich herziehen sah.
Ich erinnere mich an meinen von jedem völlig unerwarteten zweiten Platz beim Schulskikurs-Schirennen.
Ich erinnere mich an meine Beklemmungen jedes Mal, wenn ich jemanden zu Hause besuchte und dessen Eltern vorgestellt wurde. Autoritätspersonen!
Ich erinnere mich, wie lange ich brauchte, um im Supermarkt nicht mehr nach einem Sackerl, sondern nach einer Tüte zu fragen.
Ich erinnere mich an Steckerlfische.
Ich erinnere mich an Namen wie Ronny oder Falko.
Ich erinnere mich an "vor Corona".
Ich erinnere mich, wie ein Arzt im Krankenhaus meine Hoden abtastete und sich währenddessen mit einem Kollegen über das Segeln unterhielt.
Ich erinnere mich, dass ich mir sagte, er könne so Tumore besser ertasten.
Ich erinnere mich an den Pfleger, der mir vor meiner Leistenbruch-Operation die Schamhaare abrasierte und mir dabei ins Gesicht schaute statt auf sein Rasiermesser.
Ich erinnere mich an die Frage "Dreh- oder Schwankschwindel?"
Ich erinnere mich an die Frage "Haben Sie Hintergrundgedanken?"
Ich erinnere mich an meine Gegenfrage "Sie nicht?"
Ich erinnere mich an Elektrotherapie.
Ich erinnere mich an Halloween-Finger.
Halloween-Finger.
Ich erinnere mich an meine Abneigung gegen Kokser.
Ich erinnere mich an Lachanfälle auf Gras.
Ich erinnere mich an den Lachs, den mein Vater von einer Dienstreise mitgebracht hatte. Und dass wir eine Woche lang zu praktisch jeder Mahlzeit Lachs aßen.
Ich erinnere mich an die Buchhandlung Korb mit den Drehständern, in denen die edition suhrkamp-Bände waren.
Ich erinnere mich an Filme mit Barbra Streisand.
Ich erinnere mich an Yentl.
Ich erinnere mich an erwachsene Filme. The Way We Were, A Star Is Born, Der Schwimmer, Szenen einer Ehe, erwachsene Menschen, die über erwachsene Probleme sprachen. Wie sehr ich mich danach sehnte, zu ihnen zu gehören.
Ich erinnere mich, wie müde es mich manchmal machte, erwachsen zu sein. Erwachsen sein zu müssen.
Ich erinnere mich an Lagerfeuer.
Ich erinnere mich an Schlafsäcke.
Ich erinnere mich an zusammengezippte Schlafsäcke.
Ich erinnere mich an die verwaschenen Farben von Minneapolis.
In Minneapolis.
Ich erinnere mich an Maultrommeln.
Ich erinnere mich an Mundharmonikas.
Ich erinnere mich an Okarinas.
Ich erinnere mich an meine Briefmarkenalben.
Ich erinnere mich an chinesische Briefmarken.
Ich erinnere mich an chinesische Opern.
Ich erinnere mich an mein Unvermögen, Lottoscheine so auszufüllen, dass die Zahlen nicht weit auseinanderlagen oder kein Muster ergaben.
Ich erinnere mich, dass ich mich dazu zwingen wollte, auch nebeneinander liegende Zahlen anzukreuzen. Und es nicht schaffte.
Ich erinnere mich an meine Überzeugung, dass ich mir den Jackpot holen würde.
Ich erinnere mich, dass ich nicht mitmachte, wenn im Jackpot zehn Millionen lagen, weil mir das zu wenig war.
Ich erinnere mich an Mittelohrentzündungen.
Ich erinnere mich an die "Edelsteine" aus dem "Edelsteinladen".
Ich erinnere mich an HTML-Befehle.
Ich erinnere mich an CSS-Klassen.
Ich erinnere mich an Napster.
Ich erinnere mich an die Public Library.
In der Public Library.
Ich erinnere mich an Dvds.
Ich erinnere mich an Regionfree Dvd Player.
Ich erinnere mich an die CDs auf Computer-Zeitschriften
Ich erinnere mich an Stadtpläne, die man auseinanderfalten musste und mit denen man in fremden Städten anderen im Weg stand.
Ich erinnere mich an Anders reisen-Reiseführer.
Ich erinnere mich an griechischen Joghurt.
Ich erinnere mich an Nudelsalat.
Ich erinnere mich an Melanzani.
Ich erinnere mich an den Internationalen Frühschoppen. Und die Männer, die ununterbrochen rauchten und tranken.
Ich erinnere mich an Peter Handke.
Ich erinnere mich an Bücher, die man vor dem Lesen erst noch aufschneiden musste.
Ich erinnere mich an Goldschnitt.
Ich erinnere mich, wie lustig wir uns oft über Deutsche machten.
Ich erinnere mich, wie U. nach Rostock/Lichtenhagen sich bei mir für die Deutschen entschuldigte.
Ich erinnere mich, dass U. "Scheisse, Praschl!" sagte, nachdem wir uns geküsst hatten.
Ich erinnere mich an Cy Twombly.
Cy Twombly.
Ich erinnere mich an Sophie Calle.
Ich erinnere mich an Kathleen Ferrier.
Ich erinnere mich an Striptease.
Ich erinnere mich an Kylie und Jochen.
Ich erinnere mich an Jochen.
Ich erinnere mich an Knuth.
Ich erinnere mich an View Master.
Ich erinnere mich an Pingpong.
Ich erinnere mich an "Pingpong-Diplomatie".
Ich erinnere mich an den Tischtennistisch in der Garage.
Ich erinnere mich an Rundlauf.
Ich erinnere mich, dass ich es nie schaffte, mit der Rückhand zu schlagen, und deswegen immer weit an der Seite des Tischtennistisches stand statt in der Mitte.
Ich erinnere mich an Wutzelturniere.
Ich erinnere mich an Ferienlager.
Ich erinnere mich an die Melancholie auf Rückreisen.
Ich erinnere mich, wie lange mir immer die Farben der Pariser Fensterläden fehlten, wenn ich wieder in Berlin war.
In Paris.
Ich erinnere mich (7/15)
Ich erinnere mich an Geruchskino. Mit Rubbelkarten, auf denen man die Gerüche von Benzin und Furzen freireiben konnte.
Ich erinnere mich an den ersten Tag im Sommer, an dem die Frauen Shorts oder kurze Röcke trugen.
Ich erinnere mich an den ersten Tag im Sommer, an dem vor Diskokaiser's der Erdbeerstand stand, den wir Erdbeerbär nannten.
Ich erinnere mich an den Stammbaum mit meiner Herkunft, den mein Vater für mich gemacht hatte und auf dem ich fast niemanden kannte.
Ich erinnere mich an das Schwimmbad im Hotel Oderberger.
Im Hotel Oderberger.
Ich erinnere mich an die Glasscherben jeden Sonntagmorgen auf der Danziger.
Ich erinnere mich an Kardamomknoten.
Ich erinnere mich, dass ich ein paar Wochen jeden Abend dasselbe Essen bei Maria Bonita holen musste, als sie mit Fanny schwanger war.
Ich erinnere mich an das Wort hangry.
Ich erinnere mich an die Spaziergänge mit Babu im Nymphenburger Park. Einmal rannte er so lichtgeschwindigkeitsschnell los, dass ich über seine Leine stolperte und hinschlug.
Ich erinnere mich an das Licht im Ruffini.
Ich erinnere mich an die wiedervereinigten Velvet Underground in Hamburg.
Ich erinnere mich an das Jamiroquai-Konzert in einem Zelt, das so voll war, dass irgendwann Kondensschweiß auf die Zuschauer zu tropfen begann.
Ich erinnere mich an die Abstandslosigkeit bei Konzerten.
Konzert.
Ich erinnere mich an Greil Marcus.
Ich erinnere mich an Ludwig Nagl.
Ich erinnere mich an Attwenger.
Ich erinnere mich an das Attwenger-Konzert in Santa Fu, eine Gelegenheit für die Häftlinge, mit ihren Freundinnen an Tischen zu sitzen und zwei Stunden zu fummeln.
Ich erinnere mich an den Schuppen im Garten meines Großvaters mit den Jahrgängen von Spiegel und Hobby.
Ich erinnere mich an Bob Dylan.
Ich erinnere mich an Big Bill Broonzy.
Ich erinnere mich an Hula.
Ich erinnere mich an Bernd Runge.
Ich erinnere mich an "Kim il Funk".
Ich erinnere mich an Fernschreiber.
Ich erinnere mich an die Nachrichtenagenturtickermeldungen, die ständig aus dem Fernschreiber kamen.
Ich erinnere mich an Telefaxgeräte.
Ich erinnere mich an Leichenspeicher mit vorgeschriebenen Nachrufen.
Ich erinnere mich, dass niemand einen Nachruf für Lady Di parat hatte.
Ich erinnere mich an Thermopapier.
Ich erinnere mich, dass ich die Rotis nie besonders toll fand.
Ich erinnere mich an fantastisch gestaltete Speisekarten in Ostberliner Restaurants.
Ich erinnere mich an die Kategorie „Sättigungsbeilage“.
Ich erinnere mich an großartige Layouts in der Schweiz.
Ich erinnere mich an twen.
Ich erinnere mich, dass es in der twen Seiten gab, auf denen man zusehen konnte, wie ein Schriftsteller rauchte, mit jedem Foto war die Zigarette ein paar Züge kürzer geworden. Wie sehr mich so etwas elektrisierte.
Ich erinnere mich an das Brüten des Himmels vor Sommergewittern.
Ich erinnere mich, wie die Mücken stachen, ehe es gewitterte.
Ich erinnere mich an Neil Young.
Ich erinnere mich, dass ich mal in Nina Proll verschossen war.
Ich erinnere mich, dass Hedi in Wahrheit nach Bobo Siebenschläfers Schwester benannt ist, deren Name Fanny aufgefallen war.
Ich erinnere mich, dass ich sagte, Hedis Name sei von Hedy Lamarr inspiriert worden.
Ich erinnere mich, dass ich Fanny- und Hedi-Museen im Netz eröffnen wollte, mit den Biografien der großartigen Fannys und Hedis, die es zu rühmen gibt. Noch etwas auf dem Friedhof meiner unverwirklichten Projekte.
Ich erinnere mich, dass ich hin und wieder sagte, ich könne mich nicht erinnern, obwohl ich mich erinnern konnte.
Ich erinnere mich an "Erinnerungskultur".
Ich erinnere mich an "Orte der Erinnerung".
Erinnerungsort auf einem Spielplatz in Paris.
Ich erinnere mich, dass ich nie verstand, warum man sich an Orgasmen, aber nicht an Zahnschmerzen erinnern kann.
Ich erinnere mich an Orgasmen. Ein halbes Dutzend vielleicht.
Ich erinnere mich, wie sehr mich der Tod David Bowies betrübte.
Ich erinnere mich an die Tomaten auf der Dachterasse in Bahrenfeld.
Ich erinnere mich an das Saatgut der anarchistischen Association Kokopelli.
Ich erinnere mich, wie geheimnisvoll ich immer wieder fand, was Frauen trugen.
Ich erinnere mich an Strümpfe.
Ich erinnere mich an Bügel-BHs.
Ich erinnere mich an Spitzenunterwäsche.
Ich erinnere mich, wie verschlissen Spitzenunterwäsche oft aussah.
Ich erinnere mich an Unterwäsche für besondere Anlässe.
Ich erinnere mich an Alltagsunterwäsche.
Ich erinnere mich an meinen Impuls, an Gstrings zu ziehen.
Ich erinnere mich an Strumpfhosen.
Ich erinnere mich an Hosenröcke.
Ich erinnere mich an Pliséeröcke.
Ich erinnere mich an die Chirurgin im MVZ, die ein wrap dress von Diane von Furstenberg trug.
Ich erinnere mich, wie sehr ich Frauen für ihre Sommerkleider beneidete.
Ich erinnere mich an den Wickelrock, den ich auf Tonga kaufte. Und dass er Größe XS war. Und wie wohl ich mich in ihm fühlte.
Ich erinnere mich, dass vor dem Abflug nach Hawaii die Stewardessen durch das Flugzeug gingen und fragten, wer seat belt extensions benötige.
Ich erinnere mich an den Palast des Königs von Tonga.
Ich erinnere mich an die Regale mit Corned Beef im Supermarkt von Nukuʻalofa.
Ich erinnere mich an die Melonenfelder auf Tonga für den Export nach Japan.
Ich erinnere mich an die Melonen-Geschenkverpackungen in Tokioter Supermärkten.
Ich erinnere mich, wie sexy ich es fand, mit einem Strohhalm aus frisch angebohrten Kokosnüssen zu trinken.
Ich erinnere mich, dass ich bei Greengrocery einen Kokosnussbohrer kaufte.
Ich erinnere mich an Orangeneis in ausgehöhlten Orangenschalen.
Ich erinnere mich an Spaghettieis.
Ich erinnere mich an Spaghettiträger.
Ich erinnere mich an Suppe in ausgehöhlten Brotlaiben.
Ich erinnere mich an Zwiebelsuppe unter einer Käsehaube. Wenn man sie aufstach, begann es zu dampfen.
Ich erinnere mich an die Kuttelsuppe mit Hermann Burger. In einer Beiz.
Ich erinnere mich daran, wie toll ich Schweizer Wörter immer wieder fand.
Ich erinnere mich, dass ich einem Autor mailte, ob ich beim Redigieren seines Textes Füdli durch Pussyersetzen solle. Er antwortete konsterniert, Füdli sei ein Schweizer Wort für Hintern.
Ich erinnere mich an Hirn mit Ei.
Ich erinnere mich an die Suppe mit Blutwürfeleinlage in Chinatown.
Ich erinnere mich an die Suppe mit Schienbeinfleischeinlage in Chinatown.
Ich erinnere mich an Fischkopfcurry.
Ich erinnere mich an die Därme in Garnelen. Und dass man sie mitaß, wenn sie zu klein waren. Und ich mir dann sagte, dass ich Garnelscheiße aß. Und sie trotzdem aß.
Ich erinnere mich, dass ich Milka immer lieber mochte als Schokolade mit 80 Prozent Kakaogehalt.
Ich erinnere mich an das Gras, wenn man Artischocken aufschnitt.
Ich erinnere mich an Nussknacker.
Ich erinnere mich an das Eierausblasen.
Ich erinnere mich an das Gerücht, dass sich das Schwimmbeckenwasser um Menschen, die in es pinkeln, rot färbe.
Ich erinnere mich, trotzdem ins Schwimmbecken gepinkelt zu haben.
Ich erinnere mich an Adorno, der plötzlich auf der Prenzlauer hing.
Adorno.
Ich erinnere mich das Fuck you all-Plakat, das plötzlich in der Marienburger hing.
Fuck you all
Ich erinnere mich an die Trinkhalle.
Ich erinnere mich an Stevie Wimmer.
Ich erinnere mich an Cargo.
Ich erinnere mich ab Malorama.
Ich erinnere mich an Military Of the Heart.
Ich erinnere mich an Last.fm.
Ich erinnere mich an Geotracking.
Ich erinnere mich (8/15)
Ich erinnere mich an die Frau, die am Nebentisch sagte:"Ich hab so baby hairs. Da stehen die Enden so crazy ab, da machen die keinen Splissschnitt. Dafür haben sie gar nicht die Zeit."
Ich erinnere mich an die dicken Frauen vor den Kabanen im Gänsehäufel.
Ich erinnere mich an das Kasperltheater im Gänsehäufel.
Ich erinnere mich an das Karussell im Jardin du Luxembourg, bei dem die Kinder im Vorbeireiten mit einem Stock Ringe sammeln konnten, die ihnen der Karussell-Angestellte hinhielt.
Ich erinnere mich an den Sommer, an dem das Karussell im Jardin du Luxembourg "wegen eines Unglücksfalls" geschlossen war.
Ich erinnere mich an "I've got six things on my mind. You're no longer one of them."
Ich erinnere mich an Rätselhefte.
Ich erinnere mich an Fortsetzungsromane.
Ich erinnere mich, dass wir Wörter in die Folgen des Fortsetzungsromans schmuggelten, die nicht hineingehörten.
Ich erinnere mich, dass niemand je bemerkte, dass im Fortsetzungsroman Wörter standen, die dort hineingehörten.
Ich erinnere mich an meine Phantasie, nachts eine geheime Redaktion ins Büro zu lassen, um eine zweite Zeitschrift zu produzieren.
Ich erinnere mich an meine Schüchternheit immer wieder.
Ich erinnere mich an Menschen, die sich von meiner Schüchternheit nicht abhalten ließen.
Ich erinnere mich, dass mir nicht geglaubt wurde, wenn ich sagte, ich sei schüchtern.
Ich erinnere mich an Inga.
Inga.
Ich erinnere mich an den Typen in Dresden, der mir aufgeregt mitteilte, er habe eine super Geschäftsidee für Gruner+Jahr und enttäuscht war, als ich ihm antwortete, ich sei für Geschäftsideen leider nicht zuständig.
Ich erinnere mich, wie die Kellnerin in München sofort die 20 Mark einsteckte, die ich ihr irrtümlich als Trinkgeld gegeben hatte, weil ich von der Schilling/D-Mark-Umrechnung noch überfordert war.
Ich erinnere mich an das Beef tartare im Café Paris und mein Glück jedes Mal über das damit verbundene Zeremoniell.
Ich erinnere mich an "ihr Vlies".
Ich erinnere mich an "ihre Scham".
Ich erinnere mich an "ihr Nektar".
Ich erinnere mich an "ihr Medaillon".
Ich erinnere mich an "Ich war endlich ich selbst, indem ich aufhörte, es zu sein.“
Ich erinnere mich an eimerweise Ribisel in Wieselburg.
Ich erinnere mich an das Glücksgefühl, Zucker in Eimern mit Ribisel zu verrühren.
Ich erinnere mich, dass ich in Wieselburg so lange am Fensterkitt pulte, bis sich das Fenster lockerte.
Ich erinnere mich, dass ich mir in Tokio einen tragbaren CD-Player kaufte, um mir die Prefab Sprout-CD anhören zu können, die ausgerechnet in der Woche herauskam, als ich in Tokio war.
Ich erinnere mich, dass bei Tower Records in Tokio die Platten zwar alphabetisch geordnet waren, aber nach einem seltsamen Prinzip, das ich erst dechiffrieren musste.
Ich erinnere mich, dass ich mir die Prefab Sprout-CD, auf die ich mich sehr so gefreut hatte, erst schönhören musste, ehe ich sie dann doch reinen Herzens schön fand.
Ich erinnere mich an den Knick in meinem Unterarm, nachdem ich ihn mir gebrochen hatte.
Ich erinnere mich, welchen Eindruck ich bei Kindern machte, wenn ich ihnen den Knick in meinem Unterarm zeigte.
Ich erinnere mich an das Wiener Tagebuch.
Ich erinnere mich an meine aus dem Nichts kommende Panikattacke auf dem Flughafen von Nizza. Ich schaffte es nicht einmal ins Abfertigungsgebäude.
Ich erinnere mich an die Schachspieler in Paris.
In Paris.
Ich erinnere mich an den Morgen, an dem mich Hans Eichhorn zum Fischen im Attersee mitnahm.
Ich erinnere mich, dass irgendwann bei Artikeln die voraussichtliche Lesezeit anzugeben begonnen wurde.
Ich erinnere mich, dass ich viel zu ungeduldig war, um mir Podcasts und Hörbücher anhören zu können.
Ich erinnere mich, dass es irgendwann möglich wurde, die Abspielgeschwindigkeit von Filmen zu erhöhen. Und wie schrecklich ich das fand.
Ich erinnere mich, dass ich mir manchmal beim Einschlafen selbst aus Romanen vorlas.
Ich erinnere mich, dass ich den Volos manchmal riet, sich ihre Texte selbst laut vorzulesen, damit sie bemerkten, was an ihnen noch nicht stimmte.
Ich erinnere mich, wie falsch ich Sascha Lobos Roman fand.
Ich erinnere mich, wie hinreißend ich Sascha Lobo fand, als sich herausstellte, dass er bei seinem Abgang schon für uns alle bezahlt hatte.
Ich erinnere mich an Interrail.
Ich erinnere mich an das Glühen in den Fotos von Josef Szabo.
Ich erinnere mich an Sararahitze.
Ich erinnere mich an die Skaterhalle, in der ich Fanny zusah.
Ich erinnere mich, dass ich immer "Krapkrap" sagte, wenn Fanny bei mir auf der Brust lag, um zu schlafen.
Krapkrap.
Ich erinnere mich, wie schlecht es bei Bogocz ankam, als ich ihm sagte, ich hätte keine Lust, aufs Oktoberfest mitzukommen.
Ich erinnere mich, wie muffig ich auf dem Oktoberfest saß.
Ich erinnere mich, wie großartig ich die Enthauptung bei Auf gehts beim Schichtl fand.
Ich erinnere mich an Gin Tonic. Und dass ich es irgendwie interessant fand, dass man in America Gin and Tonic sagte.
Ich erinnere mich an die Witze darüber, wie wenig Wermut in einen Martini gehört (laut Churchill tat es eine Verbeugung in Richtung Frankreich).
Ich erinnere mich an den mürrischen Kriegsinvaliden.
Ich erinnere mich, dass man in der Mittagspause nicht Fußball spielen durfte.
Ich erinnere mich an Schichtarbeiter, die tagsüber schliefen und in den Hof brüllten, die Kinder sollten endlich still sein.
Ich erinnere mich an die Kärtchen, die meine Mutter schrieb, um mir das Lesen beizubringen. HAUS, BAUM, AUTO.
Ich erinnere mich, wie ungehalten sie werden konnte, wenn ich statt HAUS BAUM las.
Ich erinnere mich, dass ich mir die kleinen Druckbuchstaben selbst beibrachte.
Ich erinnere mich, dass ich in der ersten Klasse zurechtgewiesen wurde, weil ich behauptete, die Buchstaben schon zu kennen und "eff", "es" oder "em" sagte, obwohl sie ffff, ssss oder mmmmm ausgesprochen wurden.
Ich erinnere mich an Mimi und Edi in Wir lernen lesen.
Ich erinnere mich an Ann and Pat im Englischbuch.
Ich erinnere mich an die Weberschule.
Weberschule.
Ich erinnere mich, dass es Noten für Unterrichtssprache statt für Deutsch gab.
Ich erinnere mich, dass ich am allerersten Schultag nachsitzen musste, weil ich trotz Ermahnung geschwätzt hatte.
Ich erinnere mich, dass es Noten für Schönschreiben und Äußere Form gab.
Ich erinnere mich, dass ich in Schönschreiben einen Dreier hatte, weil ich als Linkshänder rechts schreiben musste.
Ich erinnere mich an trunken und genau.
Ich erinnere mich, dass wir den Bassisten von Phoenix Lippe nannten. Weil er eine so eindrucksvolle Unterlippe hatte.
Ich erinnere mich, dass wir die Schmollgesichter von Kindern Schippe nannten.
Ich erinnere mich, dass der Internist sagte, er habe beim Ultraschall einen Nierenstein gesehen, und auf meine Frage, was ich tun solle, mit "dann wissen Sie jetzt, was Sie der Rettung sagen können" antwortete.
Ich erinnere mich, wie weh es tat, wenn ich im Sommer so enge Jeans trug, dass beim Gehen die Hoden aufgeschürft wurden.
Ich erinnere mich, dass ich mit einem Leistenbruch in Paris unterwegs war. Und Paul deswegen für mich ein Restaurant auftat, in dem man beim Essen liegen konnte.
Ich erinnere mich an die Hotelbesitzerin in Südfrankreich, die meine alten Wiener-Artikel kannte und mich beim Frühstück darauf ansprach.
Ich erinnere mich an Maleen Brinkmann.
Ich erinnere mich, dass mir Maleen Brinkmann ein Rolf Dieter Brinkmann-Manuskript mitgab und ich panische Angst hatte, es zu verlieren oder mit Kaffee zu überschütten.
Ich erinnere mich, dass ich wochenlang Taxi fuhr, weil ich viel zu müde war, um noch auf eine S-Bahn zu warten.
Ich erinnere mich an den Taxifahrer, der in sein Navi "Schal" statt "Charles de Gaulle" eingab.
Ich erinnere mich an Neuperlach.
Ich erinnere mich an das Brotzeitstüberl in Neuperlach.
Ich erinnere mich, dass ich das Wort "Hosenstall" sehr deutsch fand.
Ich erinnere mich, dass ich das Wort "tüchtig" sehr deutsch fand.
Ich erinnere mich an, dass mir München oft wie ein Dorf vorkam. Die Menschen trugen Lederhosen und Dirndl, tranken Unmengen von Bier und gerieten dauernd miteinander in Streit.
Ich erinnere mich, dass ich deutsche Städte oft zu ausgedehnt fand, um in ihnen gerne zu Fuß zu gehen.
Ich erinnere mich, dass ich nachts oft kilometerweit zu Fuß nach Hause ging.
Ich erinnere mich an meinen Stolz jedes Mal, wenn die Health App auf dem Iphone angab, ich sei über 10.000 Schritte gegangen.
Ich erinnere mich, dass ich manchmal noch in der Wohnung auf und ab ging, um auf über 10.000 Schritte zu kommen.
Ich erinnere mich, dass ich es hin und wieder bereute, zu faul für den Führerschein gewesen zu sein.
Ich erinnere mich an die 55 Euro, dich bezahlen musste, weil ich mit dem Rad auf dem Gehsteig fuhr.
Ich erinnere mich an die tobsüchtigen Kommentare über auf dem Gehsteig fahrende Radfahrer unter Facebook-Postings.
Ich erinnere mich, dass ich immer verlor, wenn ich gegen Hedi oder Fanny Memory spielte.
Ich erinnere mich an das Schummeln von Fanny und Hedi, wenn sie mit mir spielten. Und wie toll ich es fand.
Ich erinnere mich daran, dass ich IQ-Tests im Internet begann, dann aber jedes Mal zu faul dafür war, mir die Fortsetzung von Zahlenreihen oder die Rotationen geometrischer Figuren zu überlegen.
Ich erinnere mich, dass ich glaubte, dass jemand die Tetris-Steine neu anordnete, während ich blinzelte. Obwohl ich genau wusste, dass das nicht möglich war.
Ich erinnere mich daran, dass immer wieder urplötzlich Trends ausbrachen. Wie Brainfuck, Flow oder Detox.
Ich erinnere mich an die Toten in der Formel 1.
Ich erinnere mich an die Stürze auf der Streif.
Ich erinnere mich an "den Bundeskanzler" im "Zielraum" der Streif.
Ich erinnere mich an "die Prominenten" im "Zielraum" der Streif.
Ich erinnere mich an "die Blumenspende" beim "Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker" im "Großen Musikvereinssaal".
Ich erinnere mich an Botschaften auf der Straße. Dass die Abschaffung von Bargeld die digitale Diktatur ermöglicht. Dass Coronaimpfungen töten. Oder dass man diese Ablenkung ignorieren solle.
Ablenkung.
Ich erinnere mich (9/15)
Ich erinnere mich, dass Boxkämpfe von Mike Tyson oft schon in der ersten Runde zu Ende waren, ich aber dennoch für sie aufstand.
Ich erinnere mich, dass es für mich einen Unterschied machte, ob ich wusste, dass jemand bei der Tour des France gedopt hatte, oder es nur ahnte.
Ich erinnere mich an die Tour de France-Übertragungen in meiner Kindheit, noch schwarzweiß, mit Louis Ocaña.
Ich erinnere mich an "oh boy", "fancy" und "cringe".
Ich erinnere mich an das Jugendwort des Jahres.
Ich erinnere mich an Artikel, in denen den älteren Lesern das Jugendwort des Jahres erklärt wurde.
Ich erinnere mich an "Ok Boomer".
Ich erinnere mich, dass Boomer Beiträge anderer Boomer mit "Ok Boomer" kommentierten.
Ich erinnere mich im Standard-Forum häufigen Kommentar "Sie müssen auf Parties sehr beliebt sein".
Ich erinnere mich an Spanischunterricht.
Ich erinnere mich nur noch an ein paar wenige spanische Redewendungen:"Esto es un robbo", "arriba! arriba!", "no pasaran" und "el pueblo unido jamas sera vincido".
Ich erinnere mich, dass ich den Arabischunterricht nach der dritten Stunde abbrach, weil mir nicht klar war, wie ich herausfinden konnte, ob ich beim Alleinlernen die Wörter richtig aussprach.
Ich erinnere mich an Thomas i punkt.
Ich erinnere mich an Visitenkarten.
Ich erinnere mich, dass ich mir Karten drucken lassen wollte, auf denen nur mein Name, aber nicht meine Adresse stand. Und es dann doch nicht brachte.
Ich erinnere mich, dass der Drucker für meine Visitenkarten Lettern verwendete, die für ein Telefonbuch entwickelt worden waren.
Ich erinnere mich, dass ich nackte Frauen zeichnen konnte. Und deswegen nackte Frauen zeichnen musste.
Ich erinnere mich, dass ich nicht zeichnen konnte.
Ich erinnere mich an: "Du kannst doch super zeichnen, viel besser als ich".
Ich erinnere mich, dass ich Leute beneidete, die besser als ich zeichnen konnten.
Ich erinnere mich an: Punkti, Punkti, Strichi, Strichi, fertig ist das Mondgesichti.
Ich erinnere mich an Herodot.
Herodot.
Ich erinnere mich, meine Eltern nie weinen gesehen zu haben.
Ich erinnere mich an Diskussionen in der Schule, ob man in Blue Jeans in die Oper dürfe.
Ich erinnere mich, dass es Blue Jeans hieß, nicht Jeans.
Ich erinnere mich, dass es in Linz gar keine Oper gab.
Ich erinnere mich, dass niemand von uns in die Oper wollte.
Ich erinnere mich, Ministrant geworden zu sein, weil es hieß, man bekomme 20 Schilling pro Messe.
Ich erinnere mich, dass es für Ministrant nur Gotteslohn gab.
Ich erinnere mich, dass man von Hamburg nach Berlin flog.
Ich erinnere mich, dass ich in Tempelhof ankam.
Ich erinnere mich an das Impfzentrum im ehemaligen Flughafen Tempelhof.
Impfzentrum.
Ich erinnere mich, dass ich für die Aufenthaltsgenehmigung eine Arbeitserlaubnis brauchte, für die ich eine Aufenthaltsgenehmigung brauchte.
Ich erinnere mich an die Vaterschaftsanerkennung.
Ich erinnere mich an Linoleumböden.
Ich erinnere mich an Durchlauferhitzer.
Ich erinnere mich an unsere Gasvergiftung wegen des kaputten Durchlauferhitzers in der Kreitnergasse. Und wie wir beide in den Schnee vor dem Haus kotzten.
Ich erinnere mich, dass mich meine Mutter jedes Mal, wenn jemand gestorben war, am Telefon fragte, ob ich mich an ihn oder sie erinnern könne. Und ich jedes Mal "dunkel" sagte, obwohl ich mich nicht erinnern konnte.
Ich erinnere mich, dass sie am Telefon jedes Mal fragte, wie das Wetter bei mir sei.
Ich erinnere mich, dass sie im Winter am Telefon jedes Mal sagte, ich solle eine Mütze aufsetzen.
Ich erinnere mich an Kniffel.
Ich erinnere mich an Uno.
Ich erinnere mich, dass Olaf Scholz nicht wusste, was Uno ist.
Ich erinnere mich an Mastermind.
Ich erinnere mich an iPods.
Ich erinnere mich, dass es hieß, Karl Lagerfeld habe mehrere iPods. Und einen Assistenten, der sie mit Musik füllte.
Ich erinnere mich an meine Enttäuschung, als der iPad mit der zweiten Generation leichter geworden war.
Ich erinnere mich an Software für Laptops, die das Klicken von Schreibmaschinen simulierte. Und das Klingeln, wenn eine neue Zeile anfing.
Ich erinnere mich an Software, mit der man die Auslöschung der Zivilisation durch einen Nuklearkrieg simulieren konnte.
Ich erinnere mich an Software, die Gesichter durch Erdbeeren ersetzen konnte.
Erdbeergesichter.
Ich erinnere mich an Software, die den Computer beim Hochfahren die Fanfare von 20th Century Fox spielen ließ.
Ich erinnere mich an meine Ungeduld, während der Computer hochfuhr.
Ich erinnere mich an die Panik, der Computer werde Arbeitsplätze vernichten.
Ich erinnere mich, dass Computer unendlich viele Arbeitsplätze vernichteten.
Ich erinnere mich, dass ich einem Mädchen in der Parallelklasse imponieren wollte, indem ich eine Probestunde in ihrem Sportverein absolvierte, aber nach dem Zirkeltraining so fertig war, dass mich das Mädchen nicht mehr interessierte.
Ich erinnere mich an das Konzert mit Fats Domino, in dem wir nur waren, weil wir gratis reinkonnten.
Ich erinnere mich an Erwachsene, die auf den Stühlen standen und begeistert Fatsy! Fatsy! brüllten.
Ich erinnere mich an Fatty George.
Ich erinnere mich an Walter Richard Langer.
Ich erinnere mich an die Radiosendung Vokal Instrumental International.
Ich erinnere mich, dass ich Vokal Instrumental International hörte, wenn ich krank war und nicht in die Schule gehen konnte, und mich deswegen bei Jazz lange automatisch kränklich fühlte.
Ich erinnere mich, dass ich nie geweint habe, dafür aber oft fast.
Ich erinnere mich an die Roten-Augen-Flüge am Montagmorgen.
Ich erinnere mich an die Flüge am Freitagabend. Das Gefühl, sie in zwei Stunden endlich wieder sehen zu können. Die Leberkässemmel am Gate. Die Freitagabendflieger, die nach einer Woche alle wieder runterkamen.
Ich erinnere mich an die Taxifahrten vom Flughafen in die Rutschbahn am Freitagabend. Das Gefühl, sie in zehn Minuten endlich wieder zu sehen.
Ich erinnere mich an die weißen Redaktionsbüros von Vanity Fair. Als würde man im Inneren eines iPods arbeiten.
Ich erinnere mich, dass viele Frauen bei Vanity Fair High Heels trugen.
Ich erinnere mich, dass die High Heels tragenden Frauen bei Vanity Fair sich wie im Stechschritt marschierende Soldatinnen anhörten.
Ich erinnere mich an die Email einer Bildredakteurin, in der jeder Schläge angedroht wurden, die am Schlusstag High Heels trug.
Ich erinnere mich an Rodin.
Im Musée Rodin.
Ich erinnere mich an gewischte Wände.
Ich erinnere mich an Landhausstil.
Ich erinnere mich an Reetdachhäuser.
Ich erinnere mich an Bauernhöfe.
Ich erinnere mich an umgebaute Mühlen.
Ich erinnere mich an die Beteuerung "mit dem Auto nur 20 Minuten in die Stadt".
Ich erinnere mich, dass ich immer entweder in einem Bungalow oder in einem Hochhaus leben wollte. Und es nie geschafft habe.
Ich erinnere mich an die Kärglichkeit protestantischer Kirchen.
Ich erinnere mich, wie gut katholische Kirchen rochen. Nach Weihrauch. Nach Kerzen.
Ich erinnere mich, wie gut die Nacken von kleinen Kindern rochen.
Ich erinnere mich daran, wie gut Frauen rochen.
Ich erinnere mich an den Schuss Parfum, den manche auf dem Klo versprühten.
Ich erinnere mich, dass manche die Spülung zogen, damit man sie nicht beim Pinkeln hören konnte.
Ich erinnere mich an eine Sex and the City-Folge, in der eine der vier nach Hause rannte, weil sie aufs Klo musste und keinen schlechten Eindruck machen wollte.
Ich erinnere mich an Hotels.
Ich erinnere mich an den Schuhputzautomaten knapp vor dem Aufzug.
Ich erinnere mich an den Einsteckschlitz für die Keycard, mit der auch das Licht anging.
Ich erinnere mich an die Wärmebehälter für das Rührei, die kross gebratenen Frühstücksspeckscheiben und die Miniwürstchen.
Ich erinnere mich an das Käsebrett mit dem angeschnittenen Brie.
Ich erinnere mich an Fernseher, auf dessen Schirm ein grünes oder weißes Sektglas Sektperlen in die Luft perlte.
Ich erinnere mich an das Hotel Amour.
Hotel Amour.
Ich erinnere mich an das Hotel Kummer.
Hotel Kummer.
Ich erinnere mich an den Fluchtwegplan.
Ich erinnere mich an das kleine und das große Handtuch.
Ich erinnere mich an den Hinweis, dass weltweit täglich Milliarden von Tonnen Handtücher gewaschen werden.
Ich erinnere mich an den programmierbaren Safe.
Ich erinnere mich an die Minibar-Erdnüsse.
Ich erinnere mich an die Piccoloflasche Sekt.
Ich erinnere mich an den ausziehbaren Vergrößerungsschminksspiegel.
Ich erinnere mich an den Knick im Kopfkissen.
Ich erinnere mich an das Milchschokolade-Täfelchen auf dem Kopfkissen.
Ich erinnere mich (10/15)
Ich erinnere mich an "Anspieltipp".
Ich erinnere mich an "in Wien war ich noch nie".
Ich erinnere mich an "das hört sich so charmant an".
Ich erinnere mich an "dann vermissen Sie doch sicher die Berge".
Ich erinnere mich an Frühstücke in Studentencafés (Milchkaffee, Croissant, Gitanes, Aspirin).
Ich erinnere mich an Generation Golf.
Ich erinnere mich an Tristesse Royale.
Ich erinnere mich an Generation X.
Ich erinnere mich an "Generation Praktikum".
Ich erinnere mich an "Ferialpraktikant".
Ich erinnere mich an Ebooks.
Ich erinnere mich an das "haptische Erlebnis" bei "richtigen" Büchern.
Ich erinnere mich an Too Young.
Ich erinnere mich, dass ich mir manchmal überlegte, wie lange ich noch Zeit für mein Meisterwerk hätte.
Ich erinnere mich an die Schwerhörigkeit meines Vaters und dass er sich zwischendurch auf die Ohren schlug, um den Sitz seiner Hörgeräte zu verbessern.
Ich erinnere mich an Schulbuchgutscheine.
Ich erinnere mich an einen Arikel über Serge Gainsbourg, in dem es hieß, er habe nach einem Herzinfarkt die Decke der Sanitäter, die ihn ins Krankenhaus bringen wollten, abgelehnt und stattdessen auf seine Kaschmir-Decke gezeigt.
Wimmelbild mit Serge Gainsbourg.
Ich erinnere mich, dass im selben Artikel stand, er habe sich sein Portemonnaie mit Gitanes vollgestopft, weil er wusste, dass er im Krankenhaus keine bekommen würde.
Ich erinnere mich an das Kommunistische Manifest, vorgelesen von Christian Brückner.
Ich erinnere mich an David Staretz.
Ich erinnere mich an Jan Morris und dass ich ihr Buch über Triest in Sidney las.
Ich erinnere mich an die Schallplatte mit Geräuschen, die Embryos im Mutterleib hören – es klang wie die Einstürzenden Neubauten.
Ich erinnere mich an Ich will mal irgendwo hin.
Ich erinnere mich an À nos amours.
Ich erinnere mich an transbeauty.
Ich erinnere mich an Murmel.
Ich erinnere mich an die Deutsch Amerikanische Freundschaft.
Ich erinnere mich, dass Xao Seffcheque beim DAF-Konzert auf die Bühne kam und sagte, dass die Wiener Punks alle Arschlöcher seien.
Ich erinnere mich, dass Xao Seffcheque daraufhin mit Stühlen beworfen wurde (es war ein bestuhltes Punk-Konzert…).
Ich erinnere mich an die Geschichte, Udo Lindenberg habe in seiner Adressen-Datenbank jede Frau, mit der er geschlafen hatte, mit "wr" markiert – der Abkürzung für "white rain".
Ich erinnere mich an die Geschichte, es gäbe ein Bordell, in das "alle" Spiegel-Redakteure gingen, und dass es dort manchmal zu unliebsamen Begegnungen kam.
Ich erinnere mich an Zeitschriftenartikel über die Angst, in der Sauna den Chef zu treffen. Und dann nicht recht zu wissen, was man mit ihm reden sollte.
Ich erinnere mich an Zeitungsartikel über Beschwerden von Liquidrom-Besuchern, sie hätten im warmen Wasser Menschen beim Sex gesehen.
Ich erinnere mich an die Anorektikerin im Liquidrom, bei der ich mich erschrocken fragte, wie sie es geschafft hatte, überhaupt noch aus dem Bett zu kommen.
Ich erinnere mich an Schnitzelberge.
Ich erinnere mich, dass mir Atomkraftwerke immer ziemlich egal gewesen sind. Selbst nach Fukushima.
Ich erinnere mich, wie unangenehm mir das Design von Atomkraft-Nein-Danke-Stickern gewesen ist.
Ich erinnere mich, wie unangenehm mir Smileys gewesen sind.
Ich erinnere mich, dass man nach Tschernobyl eine Zeitlang keine Pilze essen sollte.
Ich erinnere mich, dass wir auf dem Urfahraner Jahrmarkt einen Mitschüler trafen, der meiner Mutter erzählte, er habe seine Mutter verloren. Woraufhin sie dachte, sie sei gestorben. Dabei hatte er sie wirklich nur aus den Augen verloren.
Ich erinnere mich, dass ich mit 13, also noch nicht strafmündig, beim Versuch erwischt wurde, im Passage-Kaufhaus eine Schallplatte zu stehlen, um die ich davor eine halbe Stunde herumgeschlichen war.
Ich erinnere, dass die Platte, die ich stehlen wollte, Stuck in the Middle With You von Stealers Wheel war.
Ich erinnere mich, dass ich das Ejakulations-Geräusch auf Relax! von Frankie Goes to Hollywood mit dem Mehrspur-Tonbandgerät meines Bruders so oft aneinander montierte, bis es sich anhörte, als hätte jemand eine anderthalb Minuten lange Ejakulation.
Ich erinnere mich an schwedische Wörter.
Schwedische Wörter.
Ich erinnere mich an "erotische Romane".
Ich erinnere mich, dass in erotischen Romanen manchmal der Autor damit angab, wie oft er in einer Nacht gekommen sei.
Ich erinnere mich an "multiple Orgasmen".
Ich erinnere mich an "vaginale" und "klitorale" Orgasmen.
Ich erinnere mich an vorgetäuschte Orgasmen.
Ich erinnere mich an "Orgasmuslücken".
Ich erinnere mich, dass es ständig und überall Artikel über Orgasmen gab.
Ich erinnere mich an Virgil Abloh.
Ich erinnere mich an Alexander McQueen.
Ich erinnere mich an die Zeitschrift Filmkritik.
Ich erinnere mich an die Website Neue Filmkritik.
Ich erinnere mich an unseren letzten Sommer zu dritt.
Im letzten Sommer zu dritt.
Ich erinnere mich an unseren ersten Sommer zu viert.
Im ersten Sommer zu viert.
Ich erinnere mich an Haustauschferien.
Ich erinnere mich an Billigflüge.
Ich erinnere mich an Air Berlin.
Ich erinnere mich Mozartkugeln und Walzer beim Verlassen des Flugzeugs.
Ich erinnere mich an das Eis nach dem Kita-Abholen. Immer Schoko und Mango Lassi.
Ich erinnere mich, wie ich ihr das Fahrradfahren beigebracht habe.
Ich erinnere mich, wie sie beim Fahrradfahren immer "Ich sehe was, was du nicht siehst" spielen wollte.
Ich erinnere mich, wie ich ihr das Schwimmen beigebracht habe.
Ich erinnere mich, wie glücklich es mich oft gemacht hat, dass die meisten Tage gleich verliefen.
Ich erinnere mich, wie unglücklich es mich oft gemacht hat, dass die meisten Tage gleich verliefen.
Ich erinnere mich an uns.
Ich erinnere mich an meine Unfähigkeit, zu Sylvester euphorisch aus mir herauszugehen.
Ich erinnere mich an Artikel über Windeln wechselnde Männer.
Ich erinnere mich, dass ich mich im Sommer manchmal fast übergeben musste, wenn ich Kackwindeln wechselte.
Ich erinnere mich an Tragetücher. Und dass ich sie nicht leiden konnte, weil es war, als müsse man mit einer Wärmeflasche vor dem Bauch herumlaufen.
Ich erinnere mich an personalisierte Turnschuhe.
Ich erinnere mich an meinen Zivildienst in der Volkshochschule.
Ich erinnere mich, dass ich bei meinem Zivildienst in der Volkshochschule auch für den Kino-Einlass zuständig war und Mixtapes mit Songs aufnahm, die man hörte, während sich der Kinosaal füllte. Und dass sich auf einem dieser Mixtapes ein Stück von Art of Noise mit der Zeile Suicide is painless befand. Und dass ich das irgendwie lustig fand.
Ich erinnere mich an meinen All I Want is the Means of Production-Weihnachtssweater mit einem Porträt von Karl Marx, auf dem er wie der Weihnachtsmann aussah. Und dass ich das irgendwie lustig fand.
Ich erinnere mich, dass es bei meiner Großmutter noch keinen elektrischen Kühlschrank gab, sondern einen Eiskasten, der mit einem riesigen Eisblock gefüllt wurde, der jede Woche von einem Eisblockfahrer geliefert wurde.
Ich erinnere mich an Onkel Joe.
Ich erinnere mich an Onkel Toni.
Ich erinnere mich an die Frau aus dem Erdgeschoss, die sich innerhalb eines Jahres zu Tode trank, nachdem ihr Mann sie verlassen hatte.
Ich erinnere mich an die gegrillten und karamellisierten Grapefruits, die es in The Egg gab.
The Egg.
Ich erinnere mich, dass bei uns alle paar Monate neue Wochenend-Essrituale ausbrachen: Gegrillte und karamellisierte Grapefruits. Bratkartoffel. Die Freitagsrippchen. Oder das Sonntagshuhn noch in Hamburg, das man bei einem Stand am Grindel vorbestellen musste.
Ich erinnere mich, dass eines Sonntags jemand Fremder sich das Sonntagshuhn einpacken ließ, das ich vorbestellt hatte. Weil der Standbesitzer so schlau war, den Fremden zu fragen, ob er denn Praschl hieße. Statt ihn einfach nach seinem Namen zu fragen.
Ich erinnere mich, dass mich das noch jahrelang empört hat.
Ich erinnere mich an Witze über betrunkene Tätowierer.
Ich erinnere mich an eine Geschichte, in der ein Tätowierer jemanden einen Kühlschrank auf den Rücken tätowiert hatte. Und an meine sich augenblicklich einstellende Sehnsucht nach einem Kühlschrank-Tattoo auf dem Rücken.
Ich erinnere mich, lange mit einem Cy Twombly-Tattoo spekuliert zu haben, aber niemanden fand, dem ich zutraute, mir eines zu stechen.
Ich erinnere mich an Seerosen.
Ich erinnere mich an die Stimme von Axel Corti.
Ich erinnere mich an die Stimme von Chet Baker.
Ich erinnere mich an die Stimme von Andy Warhol.
Ich erinnere mich an die Stimme von Ernst Jandl.
Ich erinnere mich an die Stimme von Gisela Müller.
Ich erinnere mich an die Stimme von Sepp Bierbichler.
Ich erinnere mich an die Stimme von Shane MacGowan.
Ich erinnere mich an die Stimme von Barry White.
Ich erinnere mich an "meine Barry White-Stimme" und dass O. jedes Mal rot wurde.
Ich erinnere mich an "An einem Nebentisch saßen drei Herren, aßen Ragout aus Muscheln, erzählten, scherzten mit der Wirtin, ein heiterer Kreis. "Lieber gut, aber dafür ein Jahr länger," äußerten sie, handhabten das Eßgerät, Gabeln, zwischen Brötchenabbiß, dazu Pokal, dann wieder bogen sie die Schenkel aufwärts und traten aus. An der Schulter gelöste Gliedmaßen, unten Gamaschen. Ein Hund Krause, der gewaschen werden müsse, zum bevorstehenden Fest sei die Säuberung angezeigt, kehrte immer wieder. Aschenzuwachs am Glimmstengel, Saugen, Bemerkungen hin und her — ihnen der Abend, verteilte sich das Ungewisse, gliederte sich die Zeit."
Ich erinnere mich an More Songs about Buildings and Food von den Talking Heads, während K. und ich zehn Jahre, nachdem ich von ihr meinen ersten Zungenkuss und danach nie einen weiteren bekommen hatte, miteinander im Bett lagen, an einem Abend, an dem wir zufällig aus derselben Vorstellung im Stadtkino gekommen und zu ihr nach Hause gefahren waren, wo sie gleich More Songs about Buildings and Food von den Talking Heads aufgelegt hatte, auf deren letztem Lied David Byrne über amerikanische Landschaften singt, die er von einem Flugzeug aus sieht, wie schön die Häuser, das Baseballfeld, die Restaurants, die Parkplätze und so weiter sind, bis er sagt, dass er da nicht wohnen möchte, selbst wann man ihn dafür bezahlen würde, I'm tired of looking / Out the window of the airplane / I'm tired of traveling / I want to be somewhere / It's not even worth talking / About those people down there / Goo, goo, ga, ga, ga / Goo, goo, ga, ga, ga / Goo, goo, ga, ga, ga