vague.

Samstag, 3. September 2022

Ich erinnere mich (6/15)

Ich erinnere mich, dass der Göweilbauer "arschlings" sagte, wenn er "rückwärts" meinte.

Ich erinnere mich, dass ich mich manchmal in der Wikipedia müde las, wenn ich nicht einschlafen konnte.

Ich erinnere mich an Die komplette LP. Eine Dreiviertelstunde, in der niemand in die Musik hinreinredete und die man deswegen aufnehmen konnte.

Ich erinnere mich, dass ich ein paar Monate lang gegenüber eines Hotels wohnte, in dem ständig Busse mit Reisegesellschaften ankamen.

Ich erinnere mich, dass ich das Licht bei mir in der Wohnung ausmachte, wenn abends ein Bus ankam, und an meinem Schreibtisch hoffte, einer von den Reisenden, die ein paar Minuten später ihre Zimmer betraten, werde vergessen, die Jalousien herunterzuziehen.

Ich erinnere mich, dass sich nie jemand auszog.

Ich erinnere mich an den Pferdeschlachthof.

Ich erinnere mich, dass es über einen der Arbeiter im Pferdeschlachthof hieß, bei ihm würden die Tiere ganz ruhig.

Ich erinnere mich, wie dick und schwer Ministrantengewänder waren.

Ich erinnere mich an Frühmessen.

Ich erinnere mich, wie schwer es mir fiel, aus der Kirche auszutreten, obwohl ich "schon jahrelang nicht an Gott geglaubt" hatte.

Ich erinnere mich, dass ich ein Kreuzzeichen schlug, wann immer ich auf einen Friedhof kam, obwohl ich nicht an Gott glaubte.

Ich erinnere mich an Weihwasser.

Ich erinnere mich an Büchsenöffner mit Dorn.

Ich erinnere mich an mein Klapprad.

Ich erinnere mich an die Durian, die ich mit Knuth gegessen habe. Und an unsere Freude darüber, dass sie tatsächlich fast unerträglich stank, aber gut schmeckte.

Ich erinnere mich an die Minensucher in Kambodscha.



Ein Minensucher.

Ich erinnere mich an das österreichische Generalkonsulat in Hamburg.

Ich erinnere mich an die österreichische Botschaft in London, die mir 700 Schilling lieh, damit ich mir eine Zugfahrkarte kaufen konnte, nachdem mir in einer Jugendherberge in Belfast mein Interrail-Ticket gestohlen worden war.

Ich erinnere mich an Unterröcke.

Ich erinnere mich an den Kurden im Pfeilheim, der oft bei mir im Zimmer saß, ohne je ein einziges Wort zu reden.

Ich erinnere mich an den Z-Club.

Ich erinnere mich das Actionkino.

Ich erinnere mich an das Stadtkino.

Ich erinnere mich, dass ich fast in Tränen ausbrach, als ich im ersten Corona-Lockdown am Himmel ein Flugzeug Kondensstreifen hinter sich herziehen sah.

Ich erinnere mich an meinen von jedem völlig unerwarteten zweiten Platz beim Schulskikurs-Schirennen.

Ich erinnere mich an meine Beklemmungen jedes Mal, wenn ich jemanden zu Hause besuchte und dessen Eltern vorgestellt wurde. Autoritätspersonen!

Ich erinnere mich, wie lange ich brauchte, um im Supermarkt nicht mehr nach einem Sackerl, sondern nach einer Tüte zu fragen.

Ich erinnere mich an Steckerlfische.

Ich erinnere mich an Namen wie Ronny oder Falko.

Ich erinnere mich an "vor Corona".

Ich erinnere mich, wie ein Arzt im Krankenhaus meine Hoden abtastete und sich währenddessen mit einem Kollegen über das Segeln unterhielt.

Ich erinnere mich, dass ich mir sagte, er könne so Tumore besser ertasten.

Ich erinnere mich an den Pfleger, der mir vor meiner Leistenbruch-Operation die Schamhaare abrasierte und mir dabei ins Gesicht schaute statt auf sein Rasiermesser.

Ich erinnere mich an die Frage "Dreh- oder Schwankschwindel?"

Ich erinnere mich an die Frage "Haben Sie Hintergrundgedanken?"

Ich erinnere mich an meine Gegenfrage "Sie nicht?"

Ich erinnere mich an Elektrotherapie.

Ich erinnere mich an Halloween-Finger.



Halloween-Finger.

Ich erinnere mich an meine Abneigung gegen Kokser.

Ich erinnere mich an Lachanfälle auf Gras.

Ich erinnere mich an den Lachs, den mein Vater von einer Dienstreise mitgebracht hatte. Und dass wir eine Woche lang zu praktisch jeder Mahlzeit Lachs aßen.

Ich erinnere mich an die Buchhandlung Korb mit den Drehständern, in denen die edition suhrkamp-Bände waren.

Ich erinnere mich an Filme mit Barbra Streisand.

Ich erinnere mich an Yentl.

Ich erinnere mich an erwachsene Filme. The Way We Were, A Star Is Born, Der Schwimmer, Szenen einer Ehe, erwachsene Menschen, die über erwachsene Probleme sprachen. Wie sehr ich mich danach sehnte, zu ihnen zu gehören.

Ich erinnere mich, wie müde es mich manchmal machte, erwachsen zu sein. Erwachsen sein zu müssen.

Ich erinnere mich an Lagerfeuer.

Ich erinnere mich an Schlafsäcke.

Ich erinnere mich an zusammengezippte Schlafsäcke.

Ich erinnere mich an die verwaschenen Farben von Minneapolis.



In Minneapolis.

Ich erinnere mich an Maultrommeln.

Ich erinnere mich an Mundharmonikas.

Ich erinnere mich an Okarinas.

Ich erinnere mich an meine Briefmarkenalben.

Ich erinnere mich an chinesische Briefmarken.

Ich erinnere mich an chinesische Opern.

Ich erinnere mich an mein Unvermögen, Lottoscheine so auszufüllen, dass die Zahlen nicht weit auseinanderlagen oder kein Muster ergaben.

Ich erinnere mich, dass ich mich dazu zwingen wollte, auch nebeneinander liegende Zahlen anzukreuzen. Und es nicht schaffte.

Ich erinnere mich an meine Überzeugung, dass ich mir den Jackpot holen würde.

Ich erinnere mich, dass ich nicht mitmachte, wenn im Jackpot zehn Millionen lagen, weil mir das zu wenig war.

Ich erinnere mich an Mittelohrentzündungen.

Ich erinnere mich an die "Edelsteine" aus dem "Edelsteinladen".

Ich erinnere mich an HTML-Befehle.

Ich erinnere mich an CSS-Klassen.

Ich erinnere mich an Napster.

Ich erinnere mich an die Public Library.



In der Public Library.

Ich erinnere mich an Dvds.

Ich erinnere mich an Regionfree Dvd Player.

Ich erinnere mich an die CDs auf Computer-Zeitschriften

Ich erinnere mich an Stadtpläne, die man auseinanderfalten musste und mit denen man in fremden Städten anderen im Weg stand.

Ich erinnere mich an Anders reisen-Reiseführer.

Ich erinnere mich an griechischen Joghurt.

Ich erinnere mich an Nudelsalat.

Ich erinnere mich an Melanzani.

Ich erinnere mich an den Internationalen Frühschoppen. Und die Männer, die ununterbrochen rauchten und tranken.

Ich erinnere mich an Peter Handke.

Ich erinnere mich an Bücher, die man vor dem Lesen erst noch aufschneiden musste.

Ich erinnere mich an Goldschnitt.

Ich erinnere mich, wie lustig wir uns oft über Deutsche machten.

Ich erinnere mich, wie U. nach Rostock/Lichtenhagen sich bei mir für die Deutschen entschuldigte.

Ich erinnere mich, dass U. "Scheisse, Praschl!" sagte, nachdem wir uns geküsst hatten.

Ich erinnere mich an Cy Twombly.



Cy Twombly.

Ich erinnere mich an Sophie Calle.

Ich erinnere mich an Kathleen Ferrier.

Ich erinnere mich an Striptease.

Ich erinnere mich an Kylie und Jochen.

Ich erinnere mich an Jochen.

Ich erinnere mich an Knuth.

Ich erinnere mich an View Master.

Ich erinnere mich an Pingpong.

Ich erinnere mich an "Pingpong-Diplomatie".

Ich erinnere mich an den Tischtennistisch in der Garage.

Ich erinnere mich an Rundlauf.

Ich erinnere mich, dass ich es nie schaffte, mit der Rückhand zu schlagen, und deswegen immer weit an der Seite des Tischtennistisches stand statt in der Mitte.

Ich erinnere mich an Wutzelturniere.

Ich erinnere mich an Ferienlager.

Ich erinnere mich an die Melancholie auf Rückreisen.

Ich erinnere mich, wie lange mir immer die Farben der Pariser Fensterläden fehlten, wenn ich wieder in Berlin war.



In Paris.

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