Neulich, beim Herumgehen, fiel mir wieder der Satz Der letzte Sommer vor dem Faschismus ein & gleich danach, dass ich über ihn irgendwann eine Folge meiner Cargo-Kolumne geschrieben hatte (für die ich dankbar bin, weil es sonst nicht mehr vorkommt, dass man eine carte blanche hat & sie mittlerweile das einzige geworden ist, das mich wie an irgendeinen Strom angeschlossen fühlen lässt), & sah nach, wann das eigentlich war: 2019, fünf Jahre verrechnet also, aber jetzt, jetzt ist es tatsächlich so weit: der letzte Sommer vor dem Faschismus
& gerne würde ich mir sagen können, dass ich ein Spinner geworden bin, dem alles zum Zeichen wird, was seinen Hau bestätigt, aber…
Trump wird gewinnen, die AFD wird abräumen, Kickl wird Volkskanzler werden und irgendjemand schon koalieren wollen, um das Schlimmste zu verhindern, wie es heißen wird, die Ukraine wird ausbluten, & auch die Kids werden weitermachen mit ihren antizionistischen antikolonialistischen aber keine Spur antisemitischen Israelboykottaufperformances (dass da schlimmer Sprüche dabei sind, kommt zugegebenermaßen schon mal vor, sagen wir ihnen auch immer gleich, wie seltsam es rüberkommt, wenn man New Yorker Juden mitteilt, dass sie zurück nach Polen sollen, andererseits muss man das nicht so hoch hängen, "I’ve heard Columbia students claim that these incidents are so petty that they are not worth discussing at all."), & bevor man ihn abwählt, wird Rishi Sunak noch jede Menge Leute nach Ruanda abschieben,
& keine Ahnung, ob das alles Faschismus ist, wahrscheinlich nicht, ich bin ja selbst gut darin geworden, alles so lange zu differenzieren, bis es wegdifferenziert ist.
Fuck.
Jedenfalls ist hier der Text, den ich damals geschrieben habe. Und in ihn eingebettet das Video, das ihn ausgelöst hat & das mich immer noch glücklich macht (als könnte man tatsächlich noch Hoffnung haben),
doch dann ist mir aufgefallen, dass es auf dem Nova Festival wahrscheinlich nicht so arg anders ausgesehen hat ist, bis die Hamas-Widerstandskämpfer, as they say, ihren Widerstandskampf by any means necessary auslebten, indem sie Kids massakrierten, die wahrscheinlich nicht so arg anders ausgesehen haben als jene, die auf den Ivy League-Unis Zelte aufstellen &
Fuck.
[& sofort auch nachgesehen, ob es Daft Punk-Positionen gibt, die mich deprimieren könnten, die letzten Monate waren oft genug auch deswegen schwer erträglich, weil von vielen, die ich geschätzt hatte, Erbärmliches gesagt wurde,
& dabei gedacht, wie unangenehm jetzt alles geworden ist, man muss die Dinge nur ein wenig angoogeln & schon fühlt man wieder Steingefühle, wie Hedi mit ihren sieben Jahren das nennt, zum Beispiel hier und hier ]
Fuck.
Aber, jetzt, One More Time, der letzte Sommer vor dem Faschismus:
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In diesem Sommer fiel mir, einfach so, der Titel «Der letzte Sommer vor dem Faschismus» ein und ging mir wochenlang nicht mehr aus dem Kopf, & ich fragte mich, ob ein Roman so heißen sollte (& wusste genau, dass er nicht vom Faschismus handeln durfte, dafür von einem Sommer, den ein paar Menschen bis zur Neige auskosten wollten, indem sie tranken & lachten & redeten & aßen & tanzten & vögelten, bis es aus und vorbei war) oder vielleicht ein Insta-Feed (glühende Farben, MDMA-Grinsen, Fotos von Skatern, alle mit #derletztesommervordemfaschismus-Markierung) oder ein von Jean-Patrick Manchette geschriebener Krimi (ich hatte jene, an die ich rangekommen war, in diesem Sommer gelesen & auf Wikipedia erfahren, dass er sein Haus nicht mehr verlassen konnte, nachdem er an einer Agoraphobie erkrankt war)
(der alberne Scheiß eben, der einem durch den Kopf geht, wenn man darauf wartet, dass etwas passiert)
in diesem Sommer, in dem ich ungefähr zehn Artikel daüber las, dass Woodstock völlig überschätzt wird, während ich mich daran erinnerte, wie ich mit 15 oder 16 im Linzer Lifka-Kino gesessen hatte und bei Santana (der damals knapp über 20 gewesen und völlig stoned war) und bei Sly & the Family Stone (der bald danach wieder abtauchte) gedacht hatte, dass ungefähr so Gesellschaft sein sollte,
fragte ich mich auch, wie man über Fortschritt erzählen kann, ohne zum nostalgischen Idioten zu werden, denn: es gibt den Fortschritt, manchmal nur ein paar Augenblicke lang, in denen er in die Körper von 12, 14, 20-Jährigen einfährt, & wie kann man davon erzählen, ohne der Gegenwart reaktionär die Vergangenheit um die Ohren zu hauen (wie oft ich in letzter Zeit lese, wie normal es in den 70ern noch gewesen ist, dass Frauen topless badeten, und mich dann selbst daran erinnere, wie schön es war, mit Danica & all den anderen am See zu liegen & niemandem war es besonders wichtig wie jemand aussah, und wie genau solche Erinnerungen bei vielen, die sie haben, zu reaktionärem Gehetze gegen amerikanische Prüderie, Migranten und Feministinnen werden…),
vielleicht, dachte ich, indem man sich dieses Video auf Facebook antut, das einen ORF-Bericht aus dem Jahr 1967 zeigt, der von einem Rolling Stones-Konzert in der Wiener Stadthalle handelt, aber eigentlich nur von langen Haaren und der Frage, ob man denn zum Konzert einen Böller mitgebracht habe, bis schließlich die Rede auf Mick Jagger kommt – den Beat-Goebbels der Stadthalle,
(in einem Land, in dem die Faschisten nie, keine Sekunde lang, weg gewesen sind)
in dem BesucherInnen des Burning Man-Festivals zu Daft Punks Lose Yourself to Dance tanzen und lipsynchen, Menschen, die aussehen, als ginge es ihnen nicht um das Aussehen, sagte O, in albernen Kostümen, in Fishnets, Strapsen und mit love handles, und natürlich war das bloß ein Eskapismus für Menschen, die sich Eskapismus leisten können, um drei Tage danach entweder selbst wieder in der Mühle zu schuften oder die Mühle für andere unerträglicher zu machen, & es war auch nicht klar, ob diese Leute nicht vielleicht selbst Faschisten waren oder werden konnten oder nichts gegen sie unternehmen würden,
aber, dachte ich in diesem Sommer: So könnte man sehen, wie wir es ein paar Augenblicke lang dann doch geschafft hatten, die Geschichte abzuschütteln, & was wir verlieren würden, sobald der letzte Sommer vor dem Faschismus zu Ende ginge
Visual Diary: 90 Seiten, auf jeder vier quadratische Rahmen, in die man zeichnen kann, auf der Hälfte der Seiten schon mit Bildunterschriften. Es ist das schönste Buch seit langem, vielleicht auch, wenn ich gar nichts in die Kästen zeichne, weil die Zeichnungen dann imaginär bleiben, wahrscheinlich eher wegen der Bildunterschriften: „Tiere, die ich heute gegessen habe“ steht da beispielsweise links oben, daneben „Tiere, die ich heute gesehen habe“, in der Zeile darunter „Tiere, die ich heute berührt habe“ und „Tiere, die mich heute gesehen haben“. Sofort rumort einiges los im Bewusstsein: Welche Gefühle hat man, wenn man das Tier zeichnet, dessen Speck man verschlungen hat, was sagt es über sein Leben aus, wenn man kaum je Tiere berührt, warum denke ich sonst nie darüber nach, welche Tiere mich sehen, wie sie mich sehen, was ihnen durch ihre Tiergehirne puckert, wenn sie mich sehen? So geht das dahin in diesem Tagebuch, das einem freundlicherweise keine Chronologie vorschreibt, man kann mittendrin anfangen und irgendwo anders weitermachen, „Grünes, heute gesehen“ wird einem vorgeschlagen, „Interessante Haustüren, heute dran vorbeigegangen“ oder „8:48 Uhr“, „13:25 Uhr“, „16:57“ Uhr, „21:39 Uhr“.
Freitag abends ist es am schönsten. Die einen kommen noch nach Hause, andere gehen schon wieder weg, Wochenendaufgeputschtheit, in den Restaurants am Straßenrand sehe ich Menschen lachen, ich kann sie nicht hören, weil ich meine Playlist in den Ohren habe, in ein paar Minuten zusammengeklopft, Impulsklicken auf Spotify, um dann verwundert festzustellen, wie perfekt der Flow war, auch wenn zweimal Kalabrese hintereinander nicht geht, aber ich will es nicht mehr ändern, auch nicht die zwei, drei Stücke löschen, die ich jedes Mal überspringe. Seit ich verstanden habe, dass sich das erledigen lässt, indem ich auf den linken Ohrhörer tippe, macht das keine Mühe mehr. Immer dieselben Lieder also, immer dieselbe Runde, die Chodo runter, die Greifswalder bis zur Heinrich Roller, hoch zur Wins, die Wins bis zur Chodo, rechts hoch nach Hause, drei Etagen noch, dann erst mache ich die Musik weg, stoppe das Workout auf der Uhr und schaue mir meine Werte an.
Das ist meine Routine jetzt.
Sie hat mir nicht den Arsch gerettet, weil mein Arsch nicht gerettet werden musste, er war immer das Beste an meinem Körper, aber die Seele, das Leben, ich glaube das wirklich, obwohl es doof klingt. Drei Jahre lang, vielleicht auch länger, bin ich an die Schwermut verloren gewesen. Ich hätte sicher eine Therapie gebraucht, aber ich kann mir niemanden vorstellen, mit dem das nicht fürchterlich schiefgegangen wäre. Ich wäre nicht leicht zufriedenzustellen gewesen, nicht aus mir herausgekommen, ich hätte mich getarnt und geziert, oder mich hoffnungslos verliebt, wegen all der Zuwendung, und dabei schlaumeierisch gewusst, wo bei Freud ich über Übertragungen und das hoffnungslose Verlieben nachlesen könnte. Jahre, um irgendwohin zu kommen – und was hätte ich in meinem Alter von etwas, für das ich Jahre bräuchte, ohne die Sicherheit, dass es mir hilft?
Meine Therapie war mein Überdruss am Im-Grau-Angekommen-Sein, die Gelangweiltheit durch meinen Zustand, Selbstverachtung. Das kannst du weiter so machen, dachte ich irgendwann, Jahr um Jahr um Jahr, und du wirst nirgendwo hinkommen dabei. Oder du kannst es lassen. Also ließ ich es.
Ich ging los, immer dieselbe Runde, die mich seit einiger Zeit nicht mehr aus der Puste bringt, weswegen ich jetzt manchmal noch eine Extraschleife anhänge, mit immer denselben Liedern, von denen ich noch nicht genug habe. The River heißt das erste, ich weiß nicht mehr wirklich, wie es bei mir gelandet ist, ich glaube, ich habe es mir per Shazam aus Five Elephant gefischt, wo ich Espresso trinke, wenn mir die Decke auf den Kopf fällt. Ein paar Wochen lang habe ich The River für subtil gehalten, es hatte eine angenehme Bewegung, all i know we are going up on a river can you feel it moving, heißt es darin, ich fand es seltsam, aber auch schön, einen Fluss hinauf statt hinunter zu gleiten. Dann sah ich mir auf YouTube das Video an und musste lachen, weil es überhaupt nicht subtil war, sondern schwer erträglicher Romantik-Bullshit: eine Frau, die einem Mann sagt, wie sehr er für sie das Allergrößte ist und dabei längst aus der Mode gekommene Ergebenheitsgesichtsausdrücke macht, doch sie singt schön & und das Lied gleitet so schön, ich glitt mit ihm.
Es ist bestürzend leicht gewesen, an die Schwermut verloren zu gehen, und immer noch fallen mir, wenn ich jetzt darüber nachdenke, hunderttausend einleuchtende Gründe für sie ein und nur wenige, nicht schwermütig zu werden. Die elende Weltlage, die wie in einem Stafettenlauf jeder Krise eine neue hinterherschickte; die Inflation; die Tobsucht im Internet; die Sicherheit, keine Sicherheiten mehr zu haben; der zähe und immer zäher werdende Endkampf des Journalismus gegen seinen Untergang, ich könnte noch ewig so weitermachen, dazu dieses und jenes eher Persönliche, das ich wahrscheinlich auch einer Therapeutin erst nach Monaten erzählen würde, mal sehen, wie lange es hier dauert. Auch das Altern. Es ist oft ekelig. Wenn man Fotos von Rammstein sieht oder mit den Berichten über die erste, ganz sicher wieder unerhebliche Platte der Rolling Stones nach vielen Jahren konfrontiert wird, sehne ich mich danach, kein weißer alter Mann mehr sein zu müssen. Geht aber nicht. Haare wuchern aus den Ohren, Runzeln fälten am Hals, Flecken flecken die Haut, Alter-Sack-Ächzen immer wieder. Was für ein Elend.
Irgendwann hatte ich herausgefunden, wie man die fürsorglich gemeinte Lautstärkebegrenzung auf dem IPhone aushebeln kann, danach wurde die Routine noch besser. Redbone muss so laut sein, dass man beim Gehen ein wenig mittänzeln mag, die Musik so mächtig, dass man keine Scheu mehr davor hat, bescheuert auszusehen, wenn man seine Lippen STAY WOKE-Bewegungen machen lässt. Ah, Ekstase! Ah, Falsett! & immer noch keine Ahnung, wieso alles Falsettige mich sofort kriegt, Prince die Neville Brothers Klaus Nomi früher, sogar die Bee Gees. Vielleicht hatte meine Schwermut ja auch damit zu tun, dass mein imaginiertes Ich (eine Falsett-Stimme in einem Körper, der Vintage-YSL-Hemden trägt) von meinem tatsächlichen Ich (eine Barry White-Stimme in einem Körper, der glücklich war, als ihm die XXL-Uniqlo-Polos zu passen begannen) deprimierend weit entfernt ist. Tragischerweise lässt sich das durch keinen Beschluss ändern. Tragischerweise werde ich nie als der gelesen werden, der ich eigentlich bin. Tragischerweise werde ich weiter darüber fluchen, dass Identität so etwas Doofes und Subalternes ist. Tragischerweise werde ich beim Fluchen genau wissen, dass ich es nur tue, weil mir meine Identität nervig am Hals hängt.
Beim Gehen und Musikhören und Lippensynchronisieren denke ich viel nach, kein wirkliches Nachdenken, sondern etwas Vageres, das gleich wieder zurückbleibt. Warum Tätowierern nichts Besseres einfällt, dass ich endlich wieder mehr Fisch essen sollte (ich lebe mit Fischphobikern zusammen), dass ich mich endlich mal wieder sturzbetrinken sollte (ich habe schon Jahre keinen Alkohol mehr getrunken, ohne Grund, Absicht und Zweck, hat sich so ergeben), wie schön es wäre, wieder mehr für mich zu schreiben.
Vielleicht mache ich das.
all i know we are going up on a river can you feel it moving
Ein klarer blauer Himmel mit ein paar Kondensstreifen, Spätsommer, wärmer als sonst um diese Jahreszeit, hieß es im Wetterbericht.
Auch vor 22 Jahren, am 11. September 2001, war der Himmel klar und strahlend blau. "a cold front had swept through the region on the 10th. The World Trade Center, the evening before the day that would be their last as part of the New York City skyline, had been struck no less than 6 times by lightning associated with thunderstorms that developed along that cold front. The timing of that front was paramount to how the events of the following day played out. As per the usual course of events, the cold front swept across the area and paved the way for a very strong area of high pressure to build into the eastern half of the US. Not only was the high pressure in control but the cold front was strong enough to push Erin even farther out to sea away from the East Coast. All of this led to ideal conditions for flying, with clear skies and quiet weather all the way from the Dakotas to NYC." [Quelle]
Blauer Himmel, ein paar Wolkenschlieren. Möglicherweise das letzte Sommerwochenende, hieß es im Tagesspiegel-Newsletter, nützen Sie es aus. Die Wespen verabschieden sich auf ihre Weise, sie werden immer besoffener von der gärenden Natur und verrückter. Gestern hatte ich beim Espressotrinken einen Fremdkörper im Mund. Wird vom Baum über mir in die Tasse gefallen sein, dachte ich, fischte ihn heraus und hatte eine tote Wespe in der Hand, die im Kaffee ertrunken war. Danach war ich ein paar Minuten von der Vorstellung traumatisiert, an der eigenen geschwollenen Zunge ersticken zu können, ohne die geringste Ahnung zu haben, ob so etwas möglich ist. Vergänglichkeit.
"Ganz früh, ohne viel Überlegung, heiraten sie und verpflichten damit sich auf pedestre Bedingungen, entäußern in gewissem Sinn sich des Privilegs der unendlichen Möglichkeit, erniedrigen sich zu Menschen." [quelle]
Ein klarer blauer Himmel, keine Wolken, gloriose Spätsommersonne, vielleicht die letzte Runde, vor drei Tagen, beim Espressotrinken, saßen am Nebentisch zwei Expat-Paare, eines aus Brasilien, das andere aus Israel, letztere waren erst in diesem Sommer gekommen und wollten wissen, wie der Winter in Berlin sei, „greyish“, sagten die Brasilianer, die ganze Zeit, monatelang nur grau, „suicide inducing“ wollte ich rufen und ließ es dann doch. Noch ist es strahlend blau. In Hongkong dagegen, so stand es im Semafor-Newsletter, gab es gestern „more than 158 mm (6.2 inches) of rainfall in the space of an hour, the heaviest since records began in 1884. The record rain turned streets into raging rivers and inundated subway stations, as well as triggering landslides that have blocked highways. The storm, a “once-in-500-years” event according to senior Hong Kong officials, was “so big and so sudden“ that it left authorities with little time to react. Much of the downpour had eased by Friday morning."
Denim: Eine Ikone von Acne Studios. Kylie Jenner, fotografiert von Carlijn Jacobs, trägt die neue HW23 Denim-Kollektion mit Beschichtungen und Oberflächen im Used-Look."
"Kylie Jenner wurde in LA von Carlijn Jacobs fotografiert und präsentiert einen neuen Style und eine neue Silhouette: das 2023, eine Hommage an das Jahr, in dem wir unsere Ikonen feiern. Das Unisex-Modell ist extrem oversized und in einer Vintage-inspirierten Penicillin-Waschung sowie mit einer „ölbeschichteten“ wachsartigen Animation erhältlich. Jetzt die HW23 Denim-Kampagne entdecken."
Ob sie Godard kenne, fragte ich Louise, während wir warteten, bis die Mädchen mit ihrem Eis fertig waren. Warum willst du das wissen, wollte sie wissen. Weil ich keine Ahnung habe, sagte ich, ob jemand wie Godard Menschen in deinem Alter noch etwas sagt. Klar, sagte Louise, sagt mir Godard etwas, aber für mich gehört er zu den Leuten, von denen man nicht weiß, ob sie noch leben oder schon tot sind. Jetzt ist er tot, sagte ich. Oh, sagte sie und googlete der Nachricht hinterher. I don't know how to say it in English, sagte sie, he had help. Oui, sagte ich, assisté. In France that would not be allowed, sagte sie, he lived in Switzerland, sagte ich. Dann waren die Mädchen mit dem Eis fertig, au revoir.
Wieder einer, dachte ich. Dass man älter wird, merkt man auch daran, wie oft man "wieder einer" denkt. Das ist nicht schwer zu erklären: Menschen, die - einem selbst oder der Welt - aus irgendeinem Grund wichtig waren, als man noch jünger war, waren damals 20 oder 30 Jahre älter als man selbst. Wenn man dann 60 geworden ist, sind sie dem durchschnittlichen Ablaufdatum eines menschlichen Lebens so nahe gekommen, dass der eine oder andere stirbt. Dennoch hat man den Eindruck, als ginge etwas (eine Ära! eine Epoche!) zu Ende.
Ein paar Tage vor Godard war Alain Tanner gestorben. Seine Filme, von denen ich nur drei gesehen habe, mochte ich lieber als die von Godard, sehr viel lieber. Sie schauten zu, sie mochten die Menschen, denen sie zuschauten.
Godard wollte mir immer etwas erklären. A man explaining things to me. Wenn er es nicht tat, sah ich gerne zu. Die Passagen, in denen das Streichquartett Beethoven-Streichquartette spielt, Gesichter beim Reden, die Kinder in Deux enfants, die sich von seinem Gedrängel nicht schubsen ließen. Aber das hielt er nicht lange durch. Er musste gleich wieder die Kontrolle übernehmen, kam mir vor, einen Text, eine Schrift, einen Godardgedanken darüber legen.
Vielleicht ist das ein falscher Eindruck, ich habe nicht so viele Godards gesehen, vielleicht 15, die aus seinen letzten Jahren gar nicht mehr. Eine Zeitlang kam es mir wichtig vor, Godard zu sehen. Deswegen saß ich zum Beispiel in London in irgendeinem kleinen Kino und zog mir in einer Triple Feature hintereinander Weekend, Tout va bien und Letter to Jane rein. Oder war aufgeregt, weil sie im Fernsehen seinen Rolling Stone-Film spielten. Es gab ikonische Szenen. Der nackte Hintern Brigitte Bardots, der von Kitschmusik überflutet wurde, das Louvre-Wettrennen in der Außenseiterbande, Edie Sedgwick Jean Seberg, wie sie in Außer Atem auf den Champs Elysées die Herald Tribune verkauft, der Tanz von Anna Karina in der Außenseiterbande. Ich sah, warum das berühmt war. Aber ich mochte es nicht, es kam mir so darauf angelegt vor, von den Leuten, die Godard mochten, als Godardgenialität gemocht zu werden.
Ziemlich sicher tue ich ihm Unrecht. Ich müsste mir das noch einmal ansehen. Aber wahrscheinlich würde mich die Godardsicht auf die Welt immer noch stören. Das Fuchtelnde der Männer. Die Witzeleien. Wie oft Männer ihre revolutionären Sprüche aufsagen, wie oft die Frauen Prostituierte sind. Und als er in der Außenseiterbande-Tanzszene im Off die Gedanken der drei Tanzenden aufsagen lässt, ist es bei Odile selbstverständlich die Frage, ob die beiden Jungs sehen, wie sich ihre Brüste beim Tanzen bewegen.
Ich glaube, ich mag Filme lieber, die ihre Figuren in Ruhe lassen. Ich glaube, ich wünschte mir, dass die in seinen Filmen aufstehen und aus ihnen hinausgehen, anderswohin. Aber sie mussten immer bleiben.