vague.

Samstag, 3. September 2022

Ich erinnere mich (14/15)

Ich erinnere mich, dass ich an einem Strand auf Dscherba lag und ein paar Handtücher weiter jemand aufgeregt sagte, in Amerika sei etwas passiert.

Ich erinnere mich an das World Trade Centre.



World Trade Center.

Ich erinnere mich an einen Artikel über unangemessene Reaktionen auf 9/11. Jemand erzählte, er habe sich gewünscht, sein Vater wäre unter den Toten, weil es dann leichter gewesen wäre, ihn nicht mehr zu hassen.

Ich erinnere mich an "Hey!".

Ich erinnere mich an "Awopbopaloobop Alopbamboom".

Ich erinnere mich, dass ich passierten Spinat nicht mochte und ihn deswegen so lange mit Ketchup verdünnte, bis er nicht mehr nach passiertem Spinat schmeckte.

Ich erinnere mich an Schinkenfleckerl. An Serbisches Reisfleisch. An gefüllte Paprika. Dass ich mir immer mal wieder vornahm, das Essen aus meiner Kindheit für sie zu kochen. Und es dann nie tat.

Ich erinnere mich an Helene. Wir gingen ein paar Mal miteinander aus, ohne dass uns einfiel, was wir miteinander reden könnten.

Ich erinnere mich an Frauen, die ihre Pullover um die Hüften gebunden trugen.

Ich erinnere mich an Frauen, die ihre Sonnenbrillen in die Stirn geschoben trugen.

Ich erinnere mich an die Pferdeschwänze in Hamburg, in einer Höhe gebunden, dass sie durch die Fixierbänder von Caps passten.

Ich erinnere mich an die Ponys von Frauen in Berlin-Mitte, wie mit Heckenscheren geschnitten.

Ich erinnere mich an den letzten Tag der Ferien.

Ich erinnere mich an den ersten Tag der Ferien, an dem die Straßen Berlins schlagartig fast leer waren.

Ich erinnere mich an den ersten Schultag nach den Ferien.

Ich erinnere mich an den Geruch von frischen Büchern.

Ich erinnere mich an neue Stifte und neue Hefte in jedem Herbst. Als könnte man neu anfangen.

Ich erinnere mich an "frohs nice".



Frohes Neues!

Ich erinnere mich, dass ich immer wieder dachte, ich sollte endlich meinen Roman schreiben.

Ich erinnere mich, dass ich immer wieder dachte, "nichts zu sagen zu haben".

Ich erinnere mich, dass ich mir ausmalte, Sänger in einer Rockband zu sein.

Ich erinnere mich, dass ich mir ausmalte, nach dem Gewinn meines Lotto-Jackpots ein extrem großzügiger Mäzen zu werden, eine Million für Günter Hack, mindestens.

Ich erinnere mich an den Gang der Models bei den Schauen in Paris.

Ich erinnere mich an Filofax.

Ich erinnere mich an Rolodex.

Ich erinnere mich an den Palm, für dessen Handschriftenerkennung man die "Handschrift" des Palms lernen musste.

Ich erinnere mich an Hitzewellen.

Ich erinnere mich den Himmel über der Wüste.



Der Himmel über der Wüste.

Ich erinnere mich, dass ich in New York einen Tag im MoMa verbrachte, weil ich wusste, dass es dort Air Condition gab.

Ich erinnere mich an das Essen, das man zu Kita-Sommerfesten und Kita-Weihnachtsfesten mitbrachte: Nudelsalat und Zimtschnecken.

Ich erinnere mich, dass plötzlich überall Pesto drin war.

Ich erinnere mich, dass plötzlich überall Rauke drauf war.

Ich erinnere mich an Karamellsalz.

Ich erinnere mich an Kürbiskernöl auf Vanilleeis.

Ich erinnere mich an Regentage. Das wohlige Geräusch der Tropfen, die gegen die Fenster schlugen.

Ich erinnere mich an einen winzigen Zirkus in Chinatown. Man bezahlte einen Dollar und bekam ein paar Mäuse, Flöhe und einen total schlechten Jongleur zu sehen. Der beste Zirkus, in dem ich je war.

Ich erinnere mich an die Zwiebelringe in dem Steakhouse, in das Okka mich zum Geburtstag eingeladen hatte. Die ersten Zwiebelringe meines Lebens, eine Erleuchtung.

Ich erinnere mich an Wangenknochen.

Ich erinnere mich an Schlüsselbeine.

Ich erinnere mich an Michaelisrauten. Und mein Entzücken, dass sich jemand einen Namen dafür ausgedacht hatte.

Ich erinnere mich an "Schlupfnabel" und "Stülpnabel".

Ich erinnere mich an die breiten Schultern von Schwimmerinnen.

Ich erinnere mich an blonden Unterarmflaum.

Ich erinnere mich an "zu viel Zahnfleisch".

Ich erinnere mich an "zu viel Zahnweiß".

Ich erinnere mich an den Botox to go-Typen, der im Arabellapark in der Redaktion vorbeikam.

Ich erinnere mich, dass es in einem Restaurant im Arabellapark als Mittagsangebot einen "Cosmoteller" gab.

Ich erinnere mich an "nahtlose Bräune".

Ich erinnere mich an Bikinistreifen.

Ich erinnere mich an Sommersprossen.

Ich erinnere mich an Frauenlachen im Sommer.

Ich erinnere mich, dass ich im Sommer manchmal, wenn sich eine Frau nach vorne beugte, für einen Sekundenbruchteil ihre Nippel sehen konnte.

Ich erinnere mich, dass man, wenn man zwei Zwanzig-Schilling-Scheine an einer bestimmten Stelle umknickte und aneinander hielt, einen Venushügel zu sehen bekam.

Ich erinnere mich, dass ich mich manchmal fragte, "wie es wohl ist", eine Pussy zu haben, aber keine Ahnung hatte, was man auf diese Frage einigermaßen sinnvoll sagen könnte.

Ich erinnere mich, dass in Reich der Sinne der Haupdarsteller der Hauptdarstellerin in Großaufnahme ein Ei in die Vagina schob und ich mich, mit 17, fragte, wie sie es wieder herausbekommen hatte.

Ich erinnere mich, dass man "Vulva" sagen sollte, nicht immer nur "Vagina" (etwas anderes!). Ich sagte aber eh keines davon.

Ich erinnere mich an Möwen.



Möwe.

Ich erinnere mich an meine Begeisterung, als ich erfuhr, dass Dietmar Bartz auf Wikipedia den Artikel über Ahoi geschrieben hatte.

Ich erinnere mich an Dietmar Brehm.

Ich erinnere mich an Pop Art.

Ich erinnere mich, dass ich auf Reisen gerne alleine in Restaurants aß.

Ich erinnere mich, wie schön Städte nach Nächten waren, in denen es geschneit hatte.

Ich erinnere mich, dass mein Vater Grapefruits und "englischen Senf" mochte.

Ich erinnere mich an Ananasringe aus Konservendosen.

Ich erinnere mich, dass es hieß, Ananassaft würde den Geschmack von Sperma erträglicher machen.

Ich erinnere mich an Sextricks in Frauenzeitschriften.

Ich erinnere mich an "Geruchslockstoffe" und "Kuschelhormone".

Ich erinnere mich an den Ratschlag, sich beim Vögeln jemand anderen vorzustellen.

Ich erinnere mich an Hüttenkäse und dass ich nie wusste, von welcher Hütte die Rede war.

Ich erinnere mich an Liebesbriefe.

Ich erinnere mich an Trennungsbriefe.

Ich erinnere mich an Handbewegung Anführungszeichen Wort Handbewegung Abführung.

Ich erinnere mich an das „Euro-Begrüßungsset“.

Ich erinnere mich, dass mir nach der Euroumstellung lange alles total billig vorkam.

Ich erinnere mich, dass ich manchmal Preise zuerst in D-Mark und danach in österreichische Schillinge umrechnete.

Ich erinnere mich an verrauchte Wirtshäuser.

Ich erinnere mich an Raucherabteile.

Ich erinnere mich an Raucherzonen in Flugzeugen

Ich erinnere mich an Joggerinnen, die an roten Ampeln im Kreis liefen.

Ich erinnere mich an Radfahrer, die sich vor roten Ampeln an Masten festhielten, um kein Bein auf die Erde setzen zu müssen.

Ich erinnere mich an Anzeigenplazierungsbesprechungen.

Ich erinnere mich an die Dotcomkrise. Danach ging es abwärts.

Ich erinnere mich, dass ich manchmal dachte: „Jetzt könnte ich sterben, und alles wäre gut“.

Ich erinnere mich wie glücklich ich oft gewesen bin. image gluecklich

Ich erinnere mich das Kriegstagebuch von Ludwig Wittgenstein.

Ich erinnere mich an „einen Happen essen“.

Ich erinnere mich an „lass uns auf eine Nudel gehen“.

Ich erinnere mich an die Sommer, in denen ich Beifahrer war.

Ich erinnere mich, dass Radio Nostalgie an der Côte d'Azur im Autoradio immer wieder Underneath Your Clothes und I Started a Joke spielte.

Ich erinnere mich an Bars, in denen man sich schreiend unterhalten musste, weil die Musik so laut war.

Ich erinnere mich an die Daniela Bar.

Ich erinnere mich an Skylines.



Skyline.

Ich erinnere mich an den Ankerstern.

Ich erinnere mich an die roten Schuhe, die sie im Ankerstern getragen hat und danach nie mehr wieder.

Ich erinnere mich, dass mir ihre roten Schuhe als eine Art Zeichen erschienen.

Ich erinnere mich an Dancing Shoes.

Ich erinnere mich an I Bet You Look Good on the Dance Floor.

Ich erinnere mich an Frauen, die mit einer Bierflasche in der Hand tanzten.

Ich erinnere mich an Frauen, die sich beim Tanzen exaltierten.

Ich erinnere mich an Rausschmeißerstücke, wenn Discos schließen wollten.

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