29. Buch, Telefon, Schallplatte, Schrift, Kamera.
Wie wir bei Korb standen. Ich & alle, die ich hätte werden können. Eine halbe Stunde kalkulierten. Weil es ja nur für ein einziges Suhrkampbuch reichte. Keinen Plan. Es gab ja keinen. Von dem man ihn bekommen hätte können. Keinen der was sagte. 1974 war noch so stumm. Im Unterschied zu heute 15 sein. Wen konntest du fragen. Wer hätte dir was gesagt. Wer hätte dich erraten. Wolltest du gar nicht. Das war das Beste. Nicht erraten zu werden. Endlich nicht. Was machst du da? Warum schaust du so? Schau nicht so. Schau mich an, wenn ich mit dir rede. Schau nicht so frech. Das ging Jahre. Dass du erraten werden solltest. Immer falsch. Immer total falsch.
Als das Wünschen noch geholfen hat. Hat es aber nicht. Mir und allen, die ich hätte werden können. Wenn es geklappt hätte. Hat es ja nicht. Zu beschäftigt mit aussterbenden Aufzeichnungstechnologien. Tipptoppnarkosen. Damit du was hattest. Ein Suhrkampbuch, in das du schauen konntest. Damit du nicht erraten wurdest. Dann ging es wieder. Dann war es. Als hättest du einen Plan. Durch den du (und alle, die du hättest werden können) so unverwundbar wurdest. In diesen Momenten. Die du nicht einmal verstanden hast. Das Suhrkampbuch. Immer dabei. Mit den Fotos von La Defénse. Und all so was. Dann ging es wieder. Kam dir niemand nach. In deiner Tasche. Bei dem ganzen Schulscheiß. Dieses eine Ding. Gegen das Unwohlsein. Was für ein Elend.
Die Telefonate. Bei denen du immer erst fragen musstet. Kann ich sie sprechen. Ist sie zu Hause. Kann ich sie bitte sprechen. Und nach denen sie gefragt wurde. Wer war das. Was wollte der. So wie du gefragt wurdest. Wen rufst du an. Aber nur kurz. Und an der Stille merktest, dass du belauscht wurdest. Deswegen nicht wirklich reden konntest, Während du da stehen musstest. Es ging ja nur im Stehen. Vor dir die Tapete. Und im Raum zwei Ohren, die alles mithören konnten. Wusstest du nicht. Konntest es auch lassen. Unter diesen Umständen. Dieses Stummsein. Weil du nicht erraten werden wolltest. Unter keinen Umständen. Nur das Notwendigste. In diesem Ton. An dem du nicht erraten werden konntest. Können wir uns sehen. Um vier. Im Landgraf. Im Traxelmeyer. Wie immer. Damit man nichts wusste. Weil sie das Recht hatten, alles zu wissen. Und dann war besetzt. Und du musstest es noch einmal probieren. Dieselbe Konstellation. Wieder da stehen, die Tapete anstarren, reden, als redete man gar nicht. Oder bei dir besetzt war. Ewig. Weil irgendjemand im Haus telefonierte. Viertelanschluss. So dass man nicht reden konnte. Weil der Nachbar redete. Bis es knackte. Und man wusste, jetzt geht es. Kann ich sie sprechen. Ist gerade weggegangen. Vor fünf Minuten.
Wie du ewig kalkuliert hast. 140 Schilling. Für 35, 40 Minuten Abgehen. Ewig gestanden hast in diesem Laden. In diesen Läden später. Keine Ahnung mehr, wie die hießen. Es gab immer diesen einen, der angestelllt worden war für deinesgleichen. Damit du ( & alle die ihr werden hättet können) wiederkamen. Hatte nichts dagegen, dass du dir sieben, acht Platten auflegen ließest. Unter diesen Kopfhörern hörtest. Neben dir vier fünf andere wie du. Lauter Jungs. Ernsthafte junge Männer. Mit ernsthaften Gesichtern. Manche die Augen geschlossen. Wenn sie eine ganze Seite durchhörten. Und dann wieder gingen. Ohne was zu kaufen. In manchen Läden ging das. Ohne dass er murrte. Der für dich angestellt worden war. Der Drop-Out. Schallplattenverkäufer. Nicht viel älter als du. Vier, fünf Jahre. Längere Haare als du. Aber immer noch gepflegt. Hier. Hör dir die an. Wenn du die magst. Musst du die anhören. Und? Super. Was der jetzt wohl macht. Müsste Mitte fünfzig Anfang sechzig sein. Immer noch Linz. Oder Pasching. In der Gartenstadt. Die Eela Craig, die du dann kauftest. Wegen des Konzertes. In der Arbeiterkammer. Lokalhelden. Dass es so was in Linz gab. Mit Mellotron. Zehnminutenstücke. Drifteten dann ab. Ins Religiöse. Computermessen. Bombast. Aber die erste. Hattest du. Dieses ganze Progzeug. Magma. Saucerful of Secrets. Ash Ra Tempel. Amon Düül. Court of the Crimson King. Die Zeit ehe Punk kam. Ernsthafte junge Männer. Was für ein Elend.
Die Hefte, in die du geschrieben hast. Din A 5, unliniert, oranger Einband. Schulhefte. Texte. Als ob sie dich unverwundbar machen konnten. In winziger Handschrift. Immer bis zum Rand. Wo die abgeblieben sind. Irgendwann der Scham zum Opfer gefallen. Kannst du nicht mehr überprüfen. Dass man gedruckt werden konnte. Die größte Vorstellung die es gab. Wenn man keinen Plattenvertrag anstrebte. War es das Gedrucktwerden. Blocksatz. Statt Handschrift. Das Buch das heilige Buch. Wie dir die Leute vorkamen die Bücher hatten. Anselm. Bäcker. Unvorstellbar dahin zu kommen. Wie alle schrieben. In ihre Hefte. Rudi. Der plötzlich aufgetaucht war. Wie eigentlich. War plötzlich da. Vom Land nach Linz verschlagen. Die Landkinder damals. In die Stadt geschickt. Zum Lernen Hackeln. Keine Ahnung was der eigentlich machte. Ob der ein Fahrschüler war. Oder ein Lehrling. Schrieb die ganze Zeit. Am allermeisten von uns allen. In einer Sauklaue. Las das vor. Kämpfte sich durch seine eigenen Texte. Neulich auf Facebook wiedergefunden. Ob ich sein Facebookfreund. Hat jetzt zwei Söhne. Und ein Weblog. In dem er bloß Bibelsprüche postet. Und Moses sprach. Der Herr der Heiland. Wie dieser Typ der mich zum Maturatreffen. Ich im Taxi. Berlinnale oder so was. Und er den ganzen Weg nur Jesus. Ob ich es je versucht hätte. Bin doch Kommunist. Jesus auch. Hat keinen Sinn. Das kannst du nicht wissen. Doch. Versuch es doch. Gab nicht auf, bis ich auflegte. So seltsam. Konnte mich kaum an den erinnern. Und gab mich weniger auf als ich mich selbst. Und alle die ich hätte werden können.
Wie nie jemand Fotos machte. Von dir. Weil niemand eine Kamera hatte. Nur Eltern. Nur in den Urlauben. Aber nie. Auf dem Schlossberg im Speedy im Badcafé in der Arbeiterkammer. Dass du nicht weißt wie das aussah. Und du. Und sie und sie und sie. Wie schwer es war. Ein Foto zu bekommen. Auf dem sie und sie und sie war. Dass du dann gehabt hättest. Und hättest ansehen können. Und ins Suhrkampbuch legen hättest können. Für dich. Gab es nicht. Auch nicht dieses Wissen. Dass du auf Bildern landen konntest. Vielleicht warst du gar nicht wirklich da. Nur provisorisch.
boecker
A Spaceman came travelling ("Radiothek" im WDR).