vague.

Sonntag, 25. September 2011

21. Territorium.

Seit ich auf dem Prenzlauer Berg wohne, lese ich Holm. Ich weiß nicht einmal warum, es steht immer nur dasselbe drin. Die Mieten werden höher, die Alteingesessenen vertrieben, die Gentrifizierungspioniere irgendwann auch wieder, alles Scheiße. Es ist ein leicht zu durchschauendes Elend, das er immer wieder von neuem durchschaut, ich glaube, er selbst schaut es sich schon seit langem nicht mehr aus der Nähe an, er sitzt zu Hause in einem abgedunkelten Zimmer und lauert darauf, dass die neueste Zahl, die frischeste Statistik, der letzte Mietspiegel, der jüngste Doofi-Artikel aus der Berliner Tagespresse hereinkommen, dann tritt er auf ein Pedal, und die Holmgentrifizierungsverdammnismaschine legt los. Er beschreibt nie etwas, er geht nie raus, er könnte in Neuschwanstein wohnen, es fiele nicht weiter auf. Es gibt keinen einzigen Holmtext, bei dem ich gedacht hätte, dass Holm etwas gesehen, gedacht, verstanden hat, was er nicht schon hundertzwölfmal gesehen, gedacht, verstanden hat, wenn er rausgeht, geht er nur zu Vorträgen raus, bei denen er den Leuten erzählt, was er immer erzählt, wenn er mit jemandem spricht, dann mit Journalisten, die von ihm immer nur dasselbe hören wollen, wer weiß, vielleicht würde er gerne einmal über Bourbonlilien, den Zilpzalp oder über das Nordlicht reden, aber niemand will's wissen, vielleicht hat er's aber auch schon verlernt, einer bewacht ihn mit einem Louisville Slugger und haut ihn jedes Mal, wenn er vom Text abweicht. ¶ Einmal hat er's versucht und über Eis essende Kinder aus dem Prenzelberg nachgedacht (falls man es Nachdenken will, für mich war's eher ein soziologisches Hütchenspiel), genauer gesagt: über ein Video der Prenzlauer Berg Nachrichten, in dem drei Kinder in Eispolizei-T-Shirts auf ihren Fahrrädern losgeschickt werden, um das Eis in den Prenzelbergeisläden zu testen. Und sofort ist es wieder so holmig geworden, zackzack hat er eine Mittelschichtformationstheorie ausgepackt und über die Eispolizeikinder das Urteil gefällt, und ich habe mir sofort gedacht, von der Prenzelbergmutti kriegen die nur Eis, bis ihnen schlecht wird, aber vom Holm kriegen sie eine gediegene Analyse, und wie geil es doch wäre, wenn es hier nicht nur Logopäden und Kindertherapeuten und Paartherapeuten gäbe, bei denen man sich seelisch zusammenflicken lassen kann, damit die Leistung wieder stimmt, sondern Holm eine Praxis aufmachen würde, als Gentrifizierungsanalytiker, man läge bei ihm auf der Couch und würde von ihm abgefragt, Kaltmiete Warmmiete Klassenlage Bildung Lifestyle und hinterher hätte man ein tipptopp schlechtes Gewissen, ist es nicht das Ziel jeder Therapie, dass man des Verkorksten im eigenen Leben gewahr wird. ¶ Die Ironie wird mir schon noch vergehen. ¶ [Komischer Schluss, das. Downer mitten im Lauf. Aber so ist Holm auch immer.]

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