vague.

Samstag, 3. September 2022

Ich erinnere mich (4/15)

Ich erinnere mich an lange Piers. Man saß an ihrem Ende und fühlte sich, als säße man mitten im Meer. Manchmal der Gedanke: Jetzt untergehen! Untergehen, wenn es am schönsten ist!

Ich erinnere mich an den Sonnencreme-Duft in hölzernen Umkleidekabinen von Strandbädern.

Ich erinnere mich an „Maria Mutter Gottes“

Ich erinnere mich an die Raincoats.

Ich erinnere mich an den Mann vor uns im Theater, der seiner blinden Frau erzählte, was gerade auf der Bühne passierte.

Ich erinnere mich an das Amok-Theater mit Herbert Adamec.

Ich erinnere mich, dass ich im Internet las, dass Herbert Adamec Suizid begangen hatte.

Ich erinnere mich an Tode, von denen ich erst erfuhr, wenn ich jemandem hinterher gegooglet hatte, an den ich mich erinnerte.

Ich erinnere mich an Herbert Hrachovec.

Ich erinnere mich an Iris Hanika.

Ich erinnere mich an Die Mama und die Hure.

Ich erinnere mich an das Video von Die Mama und die Hure, das ich geschenkt bekommen hatte und nicht abspielen konnte, weil ich keinen Videorecorder mehr hatte.

Ich erinnere mich an den Monolog von Françoise Lebrun in Die Mama und die Hure, in dem sie das Herumvögeln ohne Liebe verdammt.

Ich erinnere mich, dass ich die Liebe mehr liebte als Herumvögeln.

Ich erinnere mich an Deutschland im Herbst.

Ich erinnere mich an Deutschland im Winter.

Ich erinnere mich an Deutschland im Frühling.

Ich erinnere mich an Deutschland im Sommer.

Ich erinnere mich an Langsamer Sommer von John Cook.

Ich erinnere mich an Himmel und Erde von Michael Pilz.

Ich erinnere mich daran, dass ich mich an den Filmemacher Michael Pilz erinnerte, als ich den Journalisten Michael Pilz kennenlernte.

Ich erinnere mich an Pilze.

Ich erinnere mich an einen Text, in dem stand, dass Pilze eine intelligente Lebensform sind und wie das Internet funktionieren.

Ich erinnere mich an die Nacht in der Havelhöhe, als wir nach Fannys Geburt im Kreissaal liegen bleiben und schlafen durften.



Eine Nacht in der Havelhöhe.

Ich erinnere mich an Snoopy.

Ich erinnere mich an das T-Shirt, auf dem Snoopy die Fahne der Antifaschistischen Aktion hochhält.

Ich erinnere mich das Neue Forvm.

Ich erinnere mich an das Neue lote Folum.

Ich erinnere mich an Manès Sperber.

Ich erinnere mich an das Schild "Adolf Eichmann & Söhne" in Linz.

Ich erinnere mich an Echolaliste.

Ich erinnere mich an die Nike von Linz.

Ich erinnere mich an Olivenöl.

Ich erinnere mich an "Geht auf Wahrem dein Fuß nicht wie auf Teppichen?"

Ich erinnere mich an Franz Jung.

Ich erinnere mich an Monika Lehner.

Ich erinnere mich an Gletscher.



Gletscher.

Ich erinnere mich an Wasserfälle.



Wasserfall.

Ich erinnere mich an Die Wasserfälle von Slunj.

Ich erinnere mich an Vulkane.

Ich erinnere mich an Fingerkuppen.

Ich erinnere mich an Dampfloks. Und an den Ruß im Gesicht, wenn man den Kopf zum Fenster hinausstreckte. „E pericoloso sporgersi“!

Ich erinnere mich daran, dass man in Österreich "angreifen" sagte, wenn man jemanden berührte. Und wie schlimm ich es fand, dass es in Deutschland "anfassen" hieß. Während deutsche Frauen es schlimm fanden, dass ich sie "angreifen" wollte.

Ich erinnere mich an den szenischen Einstieg.

Ich erinnere mich an den Abbinder.

Ich erinnere mich an die Doublette.

Ich erinnere mich an das Telegramm, in dem "Heidi sagt Text Scheisse Stop Bis morgen neu" stand.

Ich erinnere mich, dass ich Telegramme aufgab, nur um Stop unterbringen zu können.

Ich erinnere mich an Presseveranstaltungen.

Ich erinnere mich an Zaubertafeln.

Ich erinnere mich an Kaleidoskope.

Ich erinnere mich an Spritzpistolen.

Ich erinnere mich an Kapselrevolver.

Ich erinnere mich an Kreisel.

Ich erinnere mich an Sammelalben.

Ich erinnere mich an Plastikmodelle. Den Flugzeugträger. Die Saturn V mit Mondfähre.

Ich erinnere mich an den Geruch der Farben, mit denen man Plastikmodelle anmalte.

Ich erinnere mich an Windräder.

Ich erinnere mich an Papierdrachen.

Ich erinnere mich an Buntpapier.

Ich erinnere mich an Geheimtinte.

Ich erinnere mich, dass die Paartherapeutin sagte, ich müsse an meiner Männlichkeit arbeiten. Und ich danach nicht mehr kam.

Ich erinnere mich an Kennenlernrunden mit Kennenlernspielen.

Ich erinnere mich an das Geräusch der Tennisbälle im Jardin du Luxembourg.

Ich erinnere mich an den Hall der Schritte in der Église Saint-Sulpice.

Ich erinnere mich, dass ich in Paris jedes Mal in der Église Saint-Sulpice eine Kerze für uns anzündete.



In der Église Saint-Sulpice.

Ich erinnere mich, dass ich in Clubs anderen beim Tanzen zusah, aber selbst nicht tanzte. Und mich bei Parties oft am Rand hielt.

Ich erinnere mich, dass ich das Wort "cornern" sofort mochte.

Ich erinnere mich an Sofa rites de passage. Und wie stolz ich auf diesen Witz war, den wahrscheinlich niemand verstand.

Ich erinnere mich an die Einwahlgeräusche des Modems.

Ich erinnere mich an die Euroranch.

Ich erinnere mich an Peter Friedl.

Ich erinnere mich an Kleine Farbe und Große Farbe. Und an Vorprodukt.

Ich erinnere mich an Ernst Fischer.

Ich erinnere mich, dass Ernst Fischer mit einer Mappe herumlief, deren Umschlag wie der Umschlag der Hitler-Tagebücher aussah. Mit denselben falschen Initialen: FH.

Ich erinnere mich, über Ernst Fischer gehört zu haben, dass er jeden Abend um dieselbe Uhrzeit am Schumann's vorbeirradelte und ihn dort schon ein Kellner mit einem kleinen Teller erwartete, auf dem eine Zigarette lag.

Ich erinnere mich an Blogmich.

Ich erinnere mich an das Random piquenique bei der Blogmich.

Ich erinnere mich, dass ich zum Random piquenique bei der Blogmich ein riesiges Rad Camenbert mitbrachte, sicher ein Meter im Durchmesser.

Ich erinnere mich an Antville.

Ich erinnere mich, wie glücklich mich Antville gemacht hat.

Ich erinnere mich das Kartoffelpüree in der Kantine des Konzentrationslagers Auschwitz. Und wie hungrig ich es verschlang. Irgendeine kreatürliche Reaktion auf die Schrecken, die wir dort sahen.

Ich erinnere mich an den Sodawasserverkäufer im Konzentrationslager Auschwitz.



In Auschwitz.

Ich erinnere mich, Maxim Biller für die Zeile Auschwitz sehen und sterben beneidet zu haben.

Ich erinnere mich, wie ich nach über einem Jahr bei Cafélix wieder Amir sitzen sah & er mich fragte, wie es mir denn gehe & ich erzählte, dass ich gerade viel zu tun habe & er ARBEIT MACHT FREI sagte & über meinen Blick loslachte & "ich darf das sagen" sagte & dann erzählte dass er jetzt für ein Venture Capital-Dingsbums arbeite & mit mir gleich wieder über Theater redete & auf meine Frage, was die beste Inszenierung seines Lebens gewesen sei, sein Handy zückte und für mich auf youTube eine Aufführung von Hanoch Levins Requiem heraussuchte, die ich natürlich nicht verstand, weil sie hebräisch war & erzählte, worum es ging, dass da irgendwer auf der Suche nach Leichen durch die Gegend fuhr und jemand sagte, dass Pussies nach Hering riechen, & in diesem Augenblick ein Cafélixkellner sagte, er sei draufgekommen, dass die Zeichnung auf seiner Handyhülle wie eine Pussy aussehe & wie irre glücklich ich in diesem Augenblick war.

Ich erinnere mich an das Cafélix.

Ich erinnere mich an das Mapitom.

Ich erinnere mich an das Léonar.

Ich erinnere mich an die dicken Wassergläser in Los Angeles. Und an die Kellnerin, die aus einer Karaffe nachschenkte.

Ich erinnere mich, wie dankbar ich Volker Hintz war, dass er mir Los Angeles gezeigt hatte. Musso & Frank. Den Rodeo Drive. Nie habe ich mich bei ihm dafür bedankt. Wie oft nicht, wenn ich jemandem etwas zu verdanken hatte, von dem ich oft erst Jahre später bemerkte, wie wichtig es für mich gewesen war.

Ich erinnere mich, wie Pia Düsterhuis jeden Morgen ihre Stimme einsang.

Ich erinnere mich an den Singvogelmarkt in Hongkong.

Ich erinnere mich an das Elektronikviertel in Tokio.

Ich erinnere mich an den infernalischen Lärm in Patschinkohallen.

Ich erinnere mich an den infernalischen Lärm auf dem Oktoberfest.

Ich erinnere mich, dass wir nach zehn Minuten aus dem Ramones-Konzert flohen, weil es zu laut für Heike in ihrem achten Schwangerschaftsmonat war.

Ich erinnere mich an das "RIP Chris Marker"-Graffiti auf einem Gerüst in Paris.



RIP Chris Marker.

Ich erinnere mich an Verrechnungsschecks.

Ich erinnere mich an Reiseschecks.

Ich erinnere mich an Sparbücher.

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