52. Maenner/komplettansicht.
Die junge Frau wird nicht mehr jünger, keine Zeit mehr für den Scheiss. Sie will, dass das nicht immer wieder von vorne anfangen muss. Man kann sich ja leicht ausrechnen: Wenn man gerne eine richtige Beziehung inklusive aller möglichen Optionen hätte, muss man Kalküle über mehrere Jahre aufmachen. Die Feinkalibrierung der Bedürfnisse und Lebensentwürfe dauert, was weiß man schon nach ein paar Monaten voneinander? Bis sich herausstellt, ob das eine Beziehung ist oder wieder nur ein Beziehungsversuch, braucht es ewig, und Ewigkeiten kann man sich nicht ewig leisten. Also muss es wenigstens schneller losgehen.
An ihr soll es nicht liegen. Sie geht mit dem jungen Mann aus, trinkt mit ihm Bier, lässt sich von ihm besprechen, hört sich seine Musik und seine Gefühlslagen an. Das sind Investitionen in ihre Zukunft, das macht sie nicht einfach zum Spaß. Der junge Mann ignoriert das. Wahrscheinlich ist er nur ein Arsch wie die meisten anderen Männer auch. Einer, der Frauen nicht in ihrer Zukunft ankommen lässt, er tut es eben auf seine ganz spezielle Weise. Er fängt nichts mit ihr an. Bloß Halbheiten, während sie sich den Kopf zergrübelt, in den Nächten, in denen er es bei Bier, Musik und Gefühlsausschüttungen bewenden ließ. Was ist das mit dem, fragt sie sich, warum tut er nichts, kann er mich nicht endlich küssen, ich will doch nur, dass er mich will. Das ist schließlich nicht zuviel verlangt.
Vielleicht könnte sie ihn wollen, hat sie sich schon überlegt, statt darauf zu warten, dass er sie will. Es gibt in ihr diese andere Person, die zu Pfeif-drauf-Positionen fähig ist, theoretisch jedenfalls. Sein Gesicht nehmen und ihn küssen. Ihn fragen, ob er sie nicht mal küssen will. Oder mit ihr ins Bett, wäre doch allmählich fällig. Sie hat das Repertoire drauf, wie jede, meine Güte, das bisschen Selbstüberwindung, sie hat krassere Mutproben hinter sich. Aber das würde ihr nicht weiterhelfen. Sie wüsste dann immer noch nicht, ob er sie auch von sich aus gewollt hätte. Oder nur deswegen das Gesicht nicht weggedreht hat, weil er sich das nicht traute. Oder aus Höflichkeit. Was ist das für eine Scheißunhöflichkeit, denkt sie. Dass er sie nicht küsst. Dass er nicht sieht, wie sie sich abhampelt. Wie sie vage Abende mit ihm aussitzt. Seine seltsamen Liedermacher anhört. Und dann wieder nichts passiert, nie. Weil er verletzt worden ist, irgendwann. Bitte, wer ist nicht verletzt worden? Oder sie nicht verletzen will. Als ob er sie nicht dauernd verletzen würde mit dieser Tour, sie nicht verletzen zu wollen. Und sich selbst nicht durch sie.
Er küsst sie schließlich doch. Es ist ein Scheißkuss, weil er so verrutscht ist und er sich hinterher entschuldigt. Geht's noch? Das ist fast, als hätte er sie nicht küssen wollen. Nur in einem Anfall geistiger Schwäche. So kann das nichts werden, wenn schon zu Beginn alles so verkorkst ist. Was sagt das eigentlich über sie, dass sie es nicht schafft, so einen Schnulli kein einziges Mal seinen Geist, seinen Schiss, seine Höflichkeitunhöflichkeit vergessen zu lassen? Ist sie wirklich so irgendwie, so garnichts?
Er redet mit ihr darüber, sie mit ihm irgendwann nicht mehr. Schreibt stattdessen über ihn. Irgendso einen 12000-Zeichen-Riemen über junge Frauen, junge Männer, das ewige Gerackere. Es fühlt sich ein wenig schäbig an, aber auch ein wenig gut. Als wäre der eine Tendenz. Und sie an ein Symptom geraten. Verhängnisse sind netter, wenn sie gesellschaftlich sind. Dann fällt ihr ein, das bringt ihr auch keine Zeit. Sie wird nicht jünger. Es müsste allmählich mal losgehen. Tut es nicht und nicht und nicht.
flohbude
Berichte aus einer fernen, fremden Welt.