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Ob sie Godard kenne, fragte ich Louise, während wir warteten, bis die Mädchen mit ihrem Eis fertig waren. Warum willst du das wissen, wollte sie wissen. Weil ich keine Ahnung habe, sagte ich, ob jemand wie Godard Menschen in deinem Alter noch etwas sagt. Klar, sagte Louise, sagt mir Godard etwas, aber für mich gehört er zu den Leuten, von denen man nicht weiß, ob sie noch leben oder schon tot sind. Jetzt ist er tot, sagte ich. Oh, sagte sie und googlete der Nachricht hinterher. I don't know how to say it in English, sagte sie, he had help. Oui, sagte ich, assisté. In France that would not be allowed, sagte sie, he lived in Switzerland, sagte ich. Dann waren die Mädchen mit dem Eis fertig, au revoir.
Wieder einer, dachte ich. Dass man älter wird, merkt man auch daran, wie oft man "wieder einer" denkt. Das ist nicht schwer zu erklären: Menschen, die - einem selbst oder der Welt - aus irgendeinem Grund wichtig waren, als man noch jünger war, waren damals 20 oder 30 Jahre älter als man selbst. Wenn man dann 60 geworden ist, sind sie dem durchschnittlichen Ablaufdatum eines menschlichen Lebens so nahe gekommen, dass der eine oder andere stirbt. Dennoch hat man den Eindruck, als ginge etwas (eine Ära! eine Epoche!) zu Ende.
Ein paar Tage vor Godard war Alain Tanner gestorben. Seine Filme, von denen ich nur drei gesehen habe, mochte ich lieber als die von Godard, sehr viel lieber. Sie schauten zu, sie mochten die Menschen, denen sie zuschauten.
Godard wollte mir immer etwas erklären. A man explaining things to me. Wenn er es nicht tat, sah ich gerne zu. Die Passagen, in denen das Streichquartett Beethoven-Streichquartette spielt, Gesichter beim Reden, die Kinder in Deux enfants, die sich von seinem Gedrängel nicht schubsen ließen. Aber das hielt er nicht lange durch. Er musste gleich wieder die Kontrolle übernehmen, kam mir vor, einen Text, eine Schrift, einen Godardgedanken darüber legen.
Vielleicht ist das ein falscher Eindruck, ich habe nicht so viele Godards gesehen, vielleicht 15, die aus seinen letzten Jahren gar nicht mehr. Eine Zeitlang kam es mir wichtig vor, Godard zu sehen. Deswegen saß ich zum Beispiel in London in irgendeinem kleinen Kino und zog mir in einer Triple Feature hintereinander Weekend, Tout va bien und Letter to Jane rein. Oder war aufgeregt, weil sie im Fernsehen seinen Rolling Stone-Film spielten. Es gab ikonische Szenen. Der nackte Hintern Brigitte Bardots, der von Kitschmusik überflutet wurde, das Louvre-Wettrennen in der Außenseiterbande, Edie Sedgwick Jean Seberg, wie sie in Außer Atem auf den Champs Elysées die Herald Tribune verkauft, der Tanz von Anna Karina in der Außenseiterbande. Ich sah, warum das berühmt war. Aber ich mochte es nicht, es kam mir so darauf angelegt vor, von den Leuten, die Godard mochten, als Godardgenialität gemocht zu werden.
Ziemlich sicher tue ich ihm Unrecht. Ich müsste mir das noch einmal ansehen. Aber wahrscheinlich würde mich die Godardsicht auf die Welt immer noch stören. Das Fuchtelnde der Männer. Die Witzeleien. Wie oft Männer ihre revolutionären Sprüche aufsagen, wie oft die Frauen Prostituierte sind. Und als er in der Außenseiterbande-Tanzszene im Off die Gedanken der drei Tanzenden aufsagen lässt, ist es bei Odile selbstverständlich die Frage, ob die beiden Jungs sehen, wie sich ihre Brüste beim Tanzen bewegen.
Ich glaube, ich mag Filme lieber, die ihre Figuren in Ruhe lassen. Ich glaube, ich wünschte mir, dass die in seinen Filmen aufstehen und aus ihnen hinausgehen, anderswohin. Aber sie mussten immer bleiben.